Die UNO braucht einen starken Generalsekretär. Das wird schwierig

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FILES-BELGIUM-EU-UN-DIPLOMACY-BULGARIAAPA/AFP/EMMANUEL DUNAND
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Bei dem Gefeilsche im Sicherheitsrat um den neuen UN-Chef sind viele Faktoren entscheidend, nur die wichtigsten nicht: Kompetenz und Erfahrung.

Stellen Sie sich vor, ein global agierendes Unternehmen sucht einen neuen Topmanager. Nach den Vorstellungsgesprächen findet im Führungsgremium eine Abstimmung statt. Ein einziger Kandidat ist dabei, gegen den niemand etwas einzuwenden hat – im Gegenteil: Ein Großteil der Führungsmitglieder spricht sich klar für ihn aus. Zufällig hat diese Person auch bei einer Präsentationsrunde der Bewerber vor den Anteilseignern des Unternehmens den besten Eindruck hinterlassen. Wer bekommt den Posten? Vorerst keiner. Klingt absurd? Ja, das ist es. Willkommen bei den Vereinten Nationen!

Unter normalen Umständen stünde der neue UN-Generalsekretär seit dem 21. Juli fest und hieße António Guterres. Bei der ersten Probeabstimmung im Sicherheitsrat erhielt der frühere UN-Flüchtlingshochkommissar und portugiesische Ex-Premier zwölf Ja-Stimmen, drei Enthaltungen und vor allem: kein einziges Nein. Mit anderen Worten: Keine der fünf Veto-Mächte im Sicherheitsrat signalisierte, den Portugiesen zu blockieren (was sich bei den weiteren vier Abstimmungen änderte, in denen Guterres aber trotzdem deutlich vor den anderen Kandidaten lag).

Doch der Auswahlprozess für den UN-Generalsekretär hat seine eigenen Regeln. Daran haben auch die gut gemeinten Versuche nichts geändert, das Verfahren transparenter zu gestalten. Zwar hat es zum ersten Mal in der Geschichte der UNO öffentliche Vorstellungsrunden der Kandidaten in der Generalversammlung gegeben (bei denen sich Guterres nach Einschätzung von Diplomaten am besten präsentiert hat). Die Bewerber mussten offiziell nominiert werden, ihre Lebensläufe und Motivationsschreiben sind auf der UN-Homepage zu finden. Doch nun, da es ans Eingemachte geht, gerät der Auswahlprozess einmal mehr zu einem langwierigen Gefeilsche der Veto-Mächte hinter verschlossenen Türen, in dem alle möglichen Faktoren entscheidend sind, nur die wichtigsten nicht: Kompetenz und Erfahrung.

Viel wichtiger ist derzeit noch, dass der neue UN-Chef aus Osteuropa kommt oder zumindest eine Frau ist, am besten beides. Zwei Kriterien, die auch keiner von Bans Vorgängern erfüllt hat. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung, die Bulgarin Kristalina Georgiewa anstelle der glücklosen Irina Bokowa zu nominieren, ein kluger Schachzug. Bei den westlichen Staaten genießt sie einen sehr guten Ruf, gilt als höchst qualifiziert. Russland dagegen wird es sehr viel schwerer haben, ein Veto gegen sie zu argumentieren als gegen einen Kandidaten wie Guterres, der die zentralen Kriterien nicht erfüllt. Es sei denn, Moskau verweist auf die EU-Sanktionen – und Georgiewas Funktion als Vizepräsidentin der EU-Kommission. Wie gut ihre Chancen wirklich sind, wird erst mit der nächsten Probeabstimmung am 5. Oktober klar.


Für den Rest der Welt außerhalb des Sicherheitsrats hätten sowohl Guterres als auch Georgiewa – vor allen anderen Kandidaten – jedenfalls einen enormen Vorteil: Beide sind nicht nur kompetent, sondern auch starke Persönlichkeiten, die sich nicht gern ein Blatt vor den Mund nehmen. Nach zehn stillen Jahren des unauffälligen Herrn Ban, der lang nicht anecken wollte, ist es höchste Zeit für einen UN-Generalsekretär, der seine stärkste Waffe zu bedienen weiß: die internationale Plattform zu nutzen und die Dinge beim Namen zu nennen – ohne Angst davor, sich unbeliebt zu machen. Es hat Generalsekretäre gegeben, die das erfüllt haben, auch zum Ärger der Veto-Mächte: allen voran Dag Hammarskjöld, aber auch Bans charismatischer Vorgänger, Kofi Annan.

Eine starke moralische Stimme an der Spitze der UNO wird angesichts des unwürdigen Schauspiels im Sicherheitsrat zu Syrien immer wichtiger. Kein anderer Konflikt verdeutlicht die Krise der Staatengemeinschaft besser als das Morden in diesem Bürgerkrieg. Ironischerweise könnten die besten Kandidaten nach der jüngsten russisch-amerikanischen Verbaleskalation im Sicherheitsrat genau diesem Dauerstreit zum Opfer fallen. Blockieren Moskau und die USA sich bei der Wahl des Generalsekretärs lang gegenseitig, könnte am Ende ein unbedeutender Kandidat aus der dritten Reihe den Zuschlag bekommen. Das wäre das Schlimmste, das passieren kann.

E-Mails an:julia.raabe@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2016)

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