Eine Bastion wird von außen und innen beschädigt

FOTOTERMIN: MITGLIEDER DES VERFASSUNGSGERICHTSHOFS (VFGH)
FOTOTERMIN: MITGLIEDER DES VERFASSUNGSGERICHTSHOFS (VFGH)(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
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Nach der verbreiteten Kritik am Verfassungsgerichtshof von außen hat mit Johannes Schnizer nun auch ein Richter das Höchstgericht ins Gerede gebracht.

Johannes Schnizer hat dem Verfassungsgerichtshof keinen guten Dienst erwiesen. Ausgerückt, um ihn gegen die Kritik von links wegen der Stichwahlaufhebung in Schutz zu nehmen, hat Schnizer den Gerichtshof, dessen Mitglied er ist, erst recht und nun von rechts ins Gerede gebracht.

Entgegen dem Rat seiner Richterkollegen hat Schnizer das Schweigen des Gremiums von Präsident Gerhart Holzinger abwärts gebrochen und die Entscheidung vom 1. Juli in Interviews kommentiert. Was dabei ankam, war aber nicht die – völlig richtige – Botschaft, dass der Gerichtshof mit der Aufhebung der Wahl Alexander Van der Bellens zum Bundespräsidenten strikt bei seiner über Jahrzehnte und in weit mehr als hundert Fällen praktizierten Rechtsprechung geblieben war: Verstöße gegen die Regeln über die Abwicklung von Wahlen führen zu deren Aufhebung, wenn sie – egal, mit welcher Wahrscheinlichkeit – das Ergebnis beeinflussen konnten. Tatsächliche Manipulationen brauchen dazu nicht nachgewiesen zu werden.

Angekommen sind stattdessen die Nebenbemerkungen des deklarierten SPÖ-Mannes: dass nach seinem Empfinden die bei der Wahl unterlegene FPÖ die Anfechtung von langer Hand vorbereitet hätte, dass er seine Stimme Van der Bellen gegeben habe und auch beim nächsten Mal wieder geben werde. So etwas in so einer Position „als persönliche Meinung“ zu äußern, das hat noch nie funktioniert.

Der Gerichtshof steht damit im üblen Geruch, Politik machen zu wollen. Das ist ihm ab dem Moment der Verkündung der Aufhebung mehr oder minder unterschwellig vorgeworfen worden. Entgegen ihren Lippenbekenntnissen, die Entscheidung zu akzeptieren, haben die Grünen kräftig dagegen opponiert. Sie fanden ihre Experten, die mit ernster Miene von einem Fehlurteil sprachen und die konsequente Rechtsprechung nun, da es erstmals um eine bundesweite Wahl ging und der Grün-Kandidat unterlag, für verfassungswidrig erklärten.

Auf der anderen Seite erwiesen sich auch die Freiheitlichen nicht gerade als Inbegriff der Glaubwürdigkeit. Man muss gar nicht so weit gehen, wie Schnizer zu behaupten, dass die Freiheitlichen die Anfechtung schon vor der Wahl gezielt vorbereitet hätten. Aber wenn sie beteuerten, die Korrektheit von Wahlen wäre ihr oberstes Ziel: Warum haben sie ihre Wahlbeisitzer dann nicht schon im Vorhinein darauf eingeschworen, penibel auf die Einhaltung aller Formvorschriften zu drängen? Im öffentlich abgehaltenen Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof gab es eine einsame FPÖ-Wahlbeisitzerin, die noch am Wahltag Protest eingelegt hatte und diesen auch hatte dokumentiert haben wollen.


Ergebnis der Entscheidung und ihrer Begleitumstände war ein weitverbreitetes Unverständnis, wie um alles in der Welt der Gerichtshof denn nur dazu hatte kommen können. Dabei war das Urteil nach all den vorangegangenen Wahlentscheidungen nicht überraschend, und der Gerichtshof machte deutlich, dass jeglicher Missbrauch der Wahl von vornherein ausgeschlossen werden sollte. Die haarsträubende Unbekümmertheit, mit der sich Wahlbehörden über verbindliche Regeln hinweggesetzt hatten, wurde von den Kritikern ebenso gern übersehen wie ein zweites Problem, das dem Gerichtshof für sich allein gereicht hätte, die Stichwahl aufzuheben: das Durchsickern des zu erwartenden Wahlergebnisses im Lauf des Wahlnachmittags, das ein taktisches Abstimmen ermöglicht hatte.

Was bleibt, ist ein Verfassungsgerichtshof, der statt nach außen verteidigt nun auch von innen beschädigt ist. Das ist verheerend in einer Demokratie, deren Institutionen ohnehin immer weniger ernst genommen werden. Der Verfassungsgerichtshof darf sich durch den Ausritt eines seiner Mitglieder nicht beirren lassen; er wird gut daran tun, trotz aller Zurufe von außen bei seiner gefestigten Rechtsprechung zu bleiben, solange es keinen starken Grund zur Abweichung gibt – egal, welche Seite nun im Einzelfall davon profitiert. Eine letzte Instanz zu haben, die in einem Streit entscheidet, ist ein Wert für sich – selbst wenn man das Ergebnis vielleicht nicht mag.

E-Mails an:benedikt.kommenda@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2016)

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