Putins Stärke in Syrien ist seine Entschlossenheit – und die Strategielosigkeit des Westens. Russlands Präsident könnte sich trotzdem bitter verrechnen.
Wladimir Putin treibt ein zynisches Spiel in Syrien. Während der russische Präsident der deutschen Kanzlerin, Angela Merkel, neulich in Berlin großmütig erzählte, dass er sich durchaus eine Verlängerung der Waffenruhe in der nordsyrischen Metropole Aleppo vorstellen könne, war Russlands einziger Flugzeugträger, die Kusnezow, bereits auf dem Weg vom Eis- ins Mittelmeer. Das ist mehr als eine Ausflugsfahrt in den sonnigen Süden: Putin bringt zusätzliche Kampfjets in Position, um in den kommenden Wochen zum entscheidenden Schlag in Aleppo auszuholen.
Der Westen schaute staunend zu, wie Russland im Lauf des vergangenen Jahres mit einer Militärintervention das Kräftegleichgewicht im syrischen Bürgerkrieg zugunsten von Präsident Bashar al-Assad kippte. Die USA und Europa nahmen, unterbrochen nur von kurzatmiger rhetorischer Entrüstung, achselzuckend wüste russische und syrische Bombardements auf Wohngebiete im Osten Aleppos hin. Sie werden Putin auch nicht in den Arm fallen, wenn er mit Assad wie weiland im tschetschenischen Grosny den Rest der von Jihadisten kontrollierten Ruinenbezirke, in denen eine Viertel Million Zivilisten darben, dem Erdboden gleichmachen lässt.
Folgen muss Russland nicht fürchten. Die EU wird sich kaum zu Syrien-Sanktionen aufraffen. Das wurde nun beim Gipfel in Brüssel deutlich; da schafften es die 28 nicht einmal, sich auf eine Drohung festzulegen. Mitglieder wie Italien, Griechenland und Ungarn verweigerten Merkel die Gefolgschaft. Und auch Wien arbeitet eher daran, die im Zuge der Ukraine-Krise verhängten Handelshemmnisse mit Russland aufzuweichen, als neue hinzufügen.
Moralischen Druck von der Straße spürt keine europäische Regierung. Friedensbewegte marschieren nur, wenn es gegen die USA geht. Russland kann bomben, wie es will: Zwischen Berlin, Paris und Wien wird deshalb keine Handvoll Demonstranten hinter dem Ofen hervorkommen.
Aleppo, diese strategisch und symbolisch wichtige Stadt, soll die Wende im Syrien-Krieg bringen. Diesen entscheidenden militärischen Vorteil will sich Assad mithilfe seiner russischen und iranischen Alliierten verschaffen – koste es, was es wolle. Davor wird es höchstens Scheinverhandlungen geben, unter deren Deckmantel die Kriegsparteien weiter um Geländegewinne ringen. Und danach – wahrscheinlich auch. Der Krieg kann angesichts der vielen Akteure noch Jahre dauern.
Russlands Stärke in Syrien liegt derzeit in seiner Entschlossenheit und Klarheit. Putin will die russischen Interessen in Syrien wahren, indem er Assad im Sattel hält. Dafür wagt der Kreml-Chef, wovor der Westen nach den Fiaskos im Irak, in Afghanistan und Libyen zurückschreckt: eine massive Militärintervention. Die Flugverbotszone in Syrien, die Assads Gegner vergeblich gefordert haben, hat nun de facto Russland errichtet: Russische Flugabwehrsysteme sichern Assad die Lufthoheit. Niemand riskiert es, die russischen Kreise zu stören. Putins Einschüchterungstaktik funktioniert.
Der Westen indes hat sich in ein Dilemma manövriert. Er fordert immer noch den Rücktritt Assads, hat aber keine vernünftigen Alliierten in Syrien, die Garanten für eine bessere Zukunft nach dem Sturz des Diktators wären. Die syrische Opposition hat sich radikalisiert. Assads Narrativ, das letzte Bollwerk gegen terroristische Jihadisten zu sein, war vor fünf Jahren noch eine große Lüge, ist aber von Monat zu Monat wahrer geworden.
Auf dem Reißbrett mag es im Moment so aussehen, als könnte Moskaus Taktik aufgehen. Doch der unübersichtliche Bürgerkrieg ist auch für Putin nicht kontrollierbar. Russland läuft, so wie einst in Afghanistan, Gefahr, in einem kostspieligen Krieg ohne Ende zu versinken.
Und da liegt Putins größtes Risiko. Seine Großmachtallüren stehen auf tönernen Füßen. Der starke Mann regiert ein Reich mit fundamentalen Schwächen. Wirtschaft und Bevölkerungszahl schrumpfen. Das Land stagniert. Darüber werden à la longue militärische Abenteuer nicht hinwegtäuschen. Der traumwandelnd laue Westen muss dennoch schleunigst ein Rezept finden, wie man einen Nullsummenspieler und geopolitischen Wiedergänger des 19. Jahrhunderts wie Putin in Zaum halten kann. Sonst nimmt er sich weiterhin, was er kriegen kann.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2016)