Die Harmonie der roten Flügel

Sonja Wehsely
Sonja Wehsely(c) Clemens Fabry
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„Wiener zuerst“: Das Rote Wien zieht seine Grenzen hoch. Das illustriert einen Politikwechsel, der bleiben wird. Egal, wer der Wiener SPÖ künftig vorsteht.

Lang hieß es: Es gibt keinen Plan B. Auch wenn die Bundesländer rundum die Kriterien bei der Mindestsicherung für Flüchtlinge verschärfen, werde Wien nicht mitziehen. Aus Prinzip. Nun ist das etwas anders. Es gibt offiziell einen Plan B, und der ist strategisch nicht unschlau: eine Residenzpflicht durch die Hintertür. Wer neu nach Wien kommt, soll auf die Mindestsicherung warten müssen. Mehr ist unbekannt, die Wiener SPÖ macht, was sie bisher der ÖVP vorwarf: eine Idee zu ventilieren, ohne zu sagen, wie sie funktionieren soll. Wie lang ist die Wartefrist? Geht es um eine Neuregelung des kaum genutzten Regresses zwischen den Ländern, oder bekommen neu Zuziehende einfach nichts? Auch wenn sie aus zwingenden Gründen nach Wien kommen? Und führt die Zusicherung, dass man „trotzdem niemanden abweisen“ will, das Ganze nicht ad absurdum?

Derzeit läuft die Idee, wie Sozialstadträtin Sonja Wehsely versichert, unter dem Label „Notwehr“ und „mögliche Maßnahme“. Wenn es aber nicht zu einer bundesweiten Einigung kommt – und danach sieht es aus –, muss Wien Ernst machen. Und das wird spannend. Nicht nur, weil es dann konkrete Antworten braucht, sondern weil es einen symbolträchtigen Politikwechsel manifestiert, den die Wiener Grünen mittragen müssten – aber nicht werden, wie Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou nun erklärte.

Das Rote Wien beginnt, seine Grenzen hochzuziehen. Wenn Ressourcen knapp werden und Sparen nicht hinreichend funktioniert (die doch nicht größte Verwaltungsreform aller Zeiten bringt kurzfristig 100 Mio. Euro – rund 130 Mio. sind allein für die Aufstockung der Mindestsicherung nötig), braucht es Prioritäten. Hier stehen an erster Stelle jene, die da sind. Und an letzter jene, die neu und teuer sind. Wohnbaustadtrat Michael Ludwig wurde von Genossen gescholten, als er durchsetzte, dass Wiener, die länger in der Stadt sind, bei der Vergabe von geförderten Wohnungen bevorzugt werden. Nun sieht man das in der Partei wohl anders.

„Unser Geld für unsere Leute“: So plump wie die FPÖ würde es die SPÖ nie formulieren, aber „Wiener zuerst“ – das ist salonfähig. Auch wenn klar ist, dass es bei dem Vorrang vor den Neuankommenden derzeit vor allem um Flüchtlinge geht. Das entspricht einem europaweiten Trend der Sozialdemokratie, die bei der Abwägung Sozialstaat oder internationale Solidarität kaum mehr überlegen muss. Wie die SPÖ im Bund, beugt sich das Rote Wien der Macht des Faktischen. Eine Trendumkehr ist nicht in Sicht.

Was im Hinblick auf die erbitterten Flügelkämpfe um Häupls Nachfolge nicht unwichtig ist. Denn wenn zwei so konträre Figuren wie Wehsely und Ludwig einen ähnlichen Kurs einschlagen, was sagt das? Nichts anderes, als dass es letztlich auch ein bisschen egal ist, wer der Partei vorsteht. Das gilt auch für die Frage, ob die Wiener SPÖ sofort mit der FPÖ koalieren würde, sollte der rechte/Realo- oder Was-auch-immer-Flügel das Ruder übernehmen. Wohl kaum. Die SPÖ hat sich in x Wahlkämpfen über das Verhindern der FPÖ definiert. „Aus der Nummer kommen wir nicht mehr raus.“ Sagt einer des rechten/Realo-Flügels. Diesbezüglich gibt also keinen Plan B. Vorerst.

ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2016)

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