Die Wallonie war nicht David, und Ceta ist nicht Goliath

Minister-President of Wallonia Paul Magnette addresses a statement at the end of a meeting on the CETA in Brussels
Minister-President of Wallonia Paul Magnette addresses a statement at the end of a meeting on the CETA in Brussels(c) REUTERS (YVES HERMAN)
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Der Widerstand gegen das Abkommen mit Kanada ist weit weniger idealistisch gewesen als vorgegeben.

Die kleine Wallonie hatte es mit der Welt aufgenommen und bedrohte mit ihrer Sturheit diese Woche das Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada (Ceta). In diesen Widerstand wurde viel hineininterpretiert, in Ceta ebenso. Aber die wallonische Blockade war, wie sich letztlich herausgestellt hat, weit weniger idealistisch, und Ceta ist, wie hoffentlich dessen Kritiker einmal eingestehen, weit weniger gefährlich, als es in diesen Tagen dargestellt wurde. Es ist wieder nur ein Vertrag der EU, der zum Angelpunkt einer zu bekämpfenden Weltordnung wurde. Einer Weltordnung, die seit der Einführung des Internets eine unheimliche Dynamik entwickelt hat und viele Menschen verunsichert.

Aus Angst vor Veränderung und Unübersichtlichkeit, aus Emotionen gegen alles Fremde und aus einer völlig aus dem Ruder gelaufenen Kritik an Amerika ist ein Widerstand geboren worden, der kontraproduktiver nicht sein könnte. Denn er richtet sich gegen alles und jedes, das mit wirtschaftlicher Dynamik verbunden ist. Unter der Dominanz des Vorurteils, wonach sowieso wieder die Falschen gewinnen, werden positive Veränderungen in kleinen Schritten nicht mehr wahrgenommen, werden Kompromisse diskreditiert.

Die Wallonie war nicht David, und Ceta ist nicht Goliath. Nur ein Stück weitergedacht, wird hier lediglich die EU beschädigt. Die Europäische Union ist nicht, wie eine wachsende Zahl an Verschwörungstheoretikern behauptet, eine aufgesetzte Regierung in Brüssel, die am Gängelband internationaler Konzerne hängt. Die EU, deren oberste Verwaltung eben erst Apple und Amazon zu Milliardenstrafen verklagt hat, ist etwas anderes: Sie ist trotz ihrer Schwächen unsere einzige politische Plattform, um die Globalisierung fairer zu gestalten.

Kanada ist das vielleicht europäischste amerikanische Land. Es ist ein guter Partner, um ein paar wichtige Pflöcke im internationalen Handelsrecht einzuschlagen. Pflöcke, die dazu beitragen können, dass ökologische oder soziale Normen, zu denen sich die EU-Länder bekennen, auch international eingehalten werden. Doch in den aktuellen Auseinandersetzungen geht es nicht um Fakten, um jene Bereiche, die in Ceta tatsächlich gut oder weniger gut geregelt sind, sondern es geht um einen prinzipiellen Widerstand gegen eine Zusammenarbeit mit Nordamerika.

Handelsabkommen der EU erleiden derzeit ein ähnliches Schicksal wie einst der Lissabon-Vertrag. Texte, viele Hundert Seiten lang, werden von der Bevölkerung wegen ihrer Unfassbarkeit per se als Bedrohung empfunden. Linke globalisierungskritische Gruppen wie Attac und rechtsnationale Parteien nutzen diese Verunsicherung und arbeiten ganz speziell interpretierte Passagen heraus. Sie verstärken dadurch die negative Wahrnehmung. Diese selektive Suche nach dem Kleingedruckten hat unter anderem die Sonderklagerechte von Investoren ins Blickfeld gerückt.

Sie sind ein Problem, aber doch wieder kein großes: Berechtigt sind Einwände an solchen Klageoptionen gegen Staaten, weil sie von Konzernen weit einfacher als von kleinen Unternehmen finanzierbar sind. Unberechtigt sind sie, weil sie keine Eingriffsmöglichkeit in die nationale Gesetzgebung bieten. In Wirklichkeit geht es um Schadenersatzforderungen, sollte eine Investition über Nacht ihren Wert verlieren. In Ceta werden die Eingriffsmöglichkeiten solcher Schiedsgerichte erstmals beschränkt. Im Fall von Gesetzen im öffentlichen Interesse dürfen ausdrücklich keine Ersatzansprüche gestellt werden.

Natürlich ist dieser Vertrag ein Kompromiss. Und nein: Die große Kehrtwende in der Weltordnung bringt er nicht. Aber wer glaubt, dass die Verhinderung von Ceta zu mehr Gerechtigkeit führt, irrt. Ganz im Gegenteil: Der Widerstand gegen alle neuen Verträge der EU führt das gemeinsame Europa in eine existenzielle Krise. Und das macht einzelne Länder wie Österreich durch aufziehende Stürme der Globalisierung wieder ein Stück verletzbarer. Die gemeinsame Brandmauer, die vielleicht noch nicht stark genug war, wird hier beschädigt. Um das angeblich Gute durchzusetzen, wird das Instrument zur Steuerung zwischen Gut und Schlecht demoliert. Das ist destruktiv.

E-Mails an:wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2016)

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