Ärztevertreter vertreten Ärzte - und nicht die Patienten

(c) Clemens Fabry
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Der angekündigte Generalstreik ist überzogen - ohne Strukturänderungen wird das Gesundheitssystem ein Problem bekommen.

Wenn man den Ärztekammern dieser Tage zuhört, könnte man glauben, die Regierung würde den ganzen Berufsstand und dazu gleich noch das ganze Gesundheitswesen demontieren. Mit einem Generalstreik wollen sie fürchterliche Dinge abwehren: dass die öffentlichen Gesundheitsausgaben nur noch um 3,2 bis 3,6 Prozent (oder 4,6 Milliarden Euro bis 2020) steigen. Und dass die Ärztekammer in jenem Gremium nicht mehr vertreten ist, das plant, wie viele Ärzte es in welcher Region geben muss. Solch unverhältnismäßige Reaktionen sind schwer erklärbar – außer mit den Kammerwahlen, die im kommenden Frühjahr stattfinden werden.

Trotzdem dürfen die Ärztevertreter auch diesmal mit positiver Resonanz rechnen. Während sich andere Interessengruppen bei Streikdrohungen mit scharfer Kritik konfrontiert sehen, finden Ärzte oft breite Unterstützung für ihre Forderungen. Das liegt daran, dass es die Interessenvertreter meist schaffen, sich als Vertreter der Patienten zu präsentieren. Das ist natürlich Unsinn: Ärztevertreter haben in erster Linie Standesinteressen der Ärzte im Auge. Die mögen in manchen Fällen mit Anliegen der Patienten konform gehen, etwa wenn ein Honorarsystem gefordert wird, das mehr Zeit für die Patienten belohnt. Aber sehr oft geht es um reine Interessen der Ärzte. Auch die können in vielen Fällen berechtigt sein – aber es sind eben nicht die Interessen der Patienten.

Wie viel Geld steht dem Gesundheitssystem zur Verfügung? Auf diese Frage lässt sich letztlich ein guter Teil der Diskussion zurückführen. Der Wunsch nach höheren Mitteln ist angesichts einer alternden Bevölkerung verständlich, aber auch der Gesundheitsbereich wird wie alle anderen Sektoren nicht unbegrenzte Mittel zur Verfügung haben und sich der Forderung nach effizientem Einsatz der Mittel stellen müssen.

Wie lässt sich ein qualitativ gutes, für alle leistbares Gesundheitssystem unter der Prämisse beschränkter Mittel langfristig aufrechterhalten? Sparen allein ist zu wenig und oft auch kontraproduktiv. Wenn beispielsweise MRT-Untersuchungen gedeckelt, also rationiert, werden, führt das zu gesundheitsgefährdend langen Wartezeiten und zu einer Zweiklassenmedizin, in der nur noch jene rasch einen Termin bekommen, die sich das leisten können. Aber nicht jedes Sparen führt gleich zu einer Demontage des Gesundheitswesens. Wenn die Stadt Wien Fachkompetenzen an einem Standort bündelt, kann das durchaus zu Verbesserungen führen.

Letztlich wird der effiziente Einsatz von Mitteln nur mit einem Einschnitt in die Strukturen möglich sein – auch wenn das, wie jede Strukturänderung, zu lautstarken Protesten jener führt, die etwas zu verlieren haben. Aber es ist bekannt, wo im Gesundheitssystem das Geld versickert: Es gibt im internationalen Vergleich zu viele Krankenhausbetten, viele Behandlungen sollten zu den niedergelassenen Ärzten umgeleitet werden.


Das geht aber nur, wenn erstens der stationäre Bereich tatsächlich zurückgefahren wird, und sich zweitens auch im ambulanten Bereich etwas ändert. Der einzelne niedergelassene Arzt wird unter den derzeitigen Bedingungen die Spitalspatienten nicht so einfach übernehmen können. Die Zusammenarbeit verschiedener Gesundheitsberufe in den nun geplanten Primärversorgungszentren wäre ein Weg dahin. Flankierend wird es auch eine Änderung der Honorarordnung geben müssen, damit bestimmte Behandlungen auch für den Arzt finanziell machbar sind.

Gerade gegen derartige neue Formen ärztlicher Versorgung schreit die Kammer aber auf und warnt davor, dass gewinnorientierte Konzerne das Kommando übernehmen könnten. Auch da scheint etwas mehr Gelassenheit angebracht. Ein Zurückdrängen der freiberuflichen Ärzte ist derzeit nicht zu erkennen und übrigens auch in der viel kritisierten Vereinbarung zum Finanzausgleich nicht vorgesehen. Und: Das Bild vom altruistischen Arzt, der im Gegensatz zu kapitalistischen Konzernen fern jeder Gewinnabsicht nur im Patienteninteresse arbeitet, scheint doch etwas dick aufgetragen. Natürlich haben auch freiberufliche Ärzte wirtschaftliche Interessen im Auge.

E-Mails an:martin.fritzl@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2016)

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