Der drohende Linksruck der US-Demokraten

(c) APA/AFP/SAUL LOEB
  • Drucken

Wenn Bernie Sanders und Elizabeth Warren die verunsicherte Partei übernehmen, drohen ihr Jahre in der politischen Wildnis fernab der Macht.

Nach Donald Trumps verblüffendem Wahlsieg suchen viele Beobachter der amerikanischen Politik in Richard Nixons Aufstieg nach Erklärungsmustern. Nixon war wie Trump heute ein geschickter Manipulator populistischer Ressentiments gegen die Eliten in den Medien und an den Hochschulen, der in sozial unruhigen und weltpolitisch bedrohlichen Zeiten für Recht, Ordnung und Amerikas Überlegenheit eintrat. Doch die Präsidentenwahlen der Jahre 1968 und 1972 halten auch für die heuer wie damals unterlegenen Demokraten wertvolle Einsichten bereit. Die wichtigste davon ist ein Menetekel: Wenn die Partei aus der Niederlage der pragmatischen Zentristin Hillary Clinton den Schluss zieht, nach links abbiegen zu müssen, droht ihr jahrelange Irrelevanz.

Man erinnere sich: Nach Nixons Sieg gegen Hubert Humphrey bei der Wahl 1968 zogen die Demokraten im Sog der gesellschaftlichen Umwälzungen der 1960er-Jahre und des wachsenden Widerstands gegen den Vietnam-Krieg scharf nach links. Das ging in die Hose: McGovern, der Senator aus South Dakota, konnte die Partei nicht einen, verscherzte es sich mit prominenten Demokraten und machte sich mit linksliberalen Positionen zur leichten Beute für Nixons schwarze Kampagnenkunst. Bei der Präsidentenwahl 1972 gewann er außer im District of Columbia nur in Massachusetts – ein Negativrekord. Hätte sich Nixon nicht in einer Mischung aus Paranoia und Cäsarenwahn mit dem Watergate-Skandal selbst aus dem Amt geschossen und damit Jimmy Carters ebenso überraschende wie unglückliche vier Jahre im Weißen Haus ermöglicht, wäre von 1968 an ein Vierteljahrhundert vergangen, ehe 1992 mit Bill Clinton wieder ein Demokrat die Präsidentenwahl gewann.

Man muss mit historischen Vergleichen vorsichtig sein, aber die Parallelen sind augenscheinlich. Bernie Sanders, der Senator aus Vermont, und seine Kollegin Elizabeth Warren aus Massachusetts sind sofort nach dem Wahltag in das Vakuum an der Spitze der Partei gestoßen, das mit dem Ende der Ära von Präsident Barack Obama und Clintons Niederlage entstanden ist. Sie fordern eine scharf linkspopulistische Linie und wollen den Kongressabgeordneten Keith Ellison aus Minnesota, einen zum Islam übergetretenen Schwarzen, zum neuen Parteivorsitzenden machen. „Es reicht nicht, bloß zu sagen: ,Ich bin eine Frau, wählt mich‘“, trat Sanders dieser Tage gegen Clinton nach. „Wir brauchen eine Frau, die den Mut hat, gegen die Wall Street, die Versicherungsfirmen, die Pharmafirmen, die Ölfirmen anzukämpfen.“ Warren ging vor der Wahl mit schwarzen Namenslisten von Kandidaten für Clintons Regierungsteam hausieren, deren Bestellung sie im Senat zu verhindern beabsichtigte – darunter auch Lael Brainard, einst Finanzstaatssekretärin unter Obama und heute im Lenkungsrat der Federal Reserve.


Sanders' und Warrens Programm aus gebührenfreiem Studium, staatlicher Krankenversicherung und mehr Umverteilung über eine verstärkt progressive Einkommensteuer ist in den USA ein Minderheitenprogramm. Denn dies ist eine mehrheitlich gemäßigt-konservative Gesellschaft, die den Individualismus schätzt und sich von Obrigkeiten nichts vorschreiben lassen will. Man kann es als Europäer bedauerlich finden, dass etwas für uns so Selbstverständliches wie eine allgemeine Sozialversicherung in den USA für ideologische Schlachten sorgt. Aber so liegen die Dingen nun einmal. 38 Prozent der Amerikaner bezeichnen sich gegenüber Gallup als konservativ, nur 24 Prozent als liberal, und nur 47Prozent würden für einen Kandidaten stimmen, der sich als Sozialist bezeichnet – mit klarem Abstand weniger, als sie einen Juden, Muslim oder Atheisten wählen würden. Dieses Volk will, wie der Politikforscher Henry Olsen es im Gespräch mit der „Presse“ pointiert formuliert hat, kein „Dänemark zwischen den Ozeanen“ werden.

„Wir Demokraten müssen uns als fähig erweisen, eine faire Volkswirtschaft zum Wachsen zu bringen und das Land sicher zu halten“, schrieb der langjährige demokratische Vordenker Ted Van Dyk dieser Tage im „Wall Street Journal“. In der Mitte liegt die Macht – nicht in einer linkspopulistischen Antwort auf Trumps Rechtspopulismus.

E-Mails an:oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.