Die Italiener stimmten für eine Rückkehr in die Vergangenheit

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Anti-Renzi-Wähler sagten Nein zum Wandel: Nach dem Verfassungsreferendum droht dem Land wieder die altbekannte „stabile Instabilität“.

Es ist ungewiss, wie es nach dem Verfassungsreferendum mit Italien, der Regierung, Matteo Renzi und dem Euro weitergeht. Sicher ist derzeit das eine: Die Italiener sagten am Sonntag ein mächtiges, lautstarkes Nein zu Veränderungen und Erneuerungen, und zwar in einer für Italien ungewohnten und unerwarteten Einstimmigkeit. Von Nord- bis Süditalien, quer durch soziale Schichten und Bildungsgrade, haben unerwartete 60Prozent den Renzi-Plänen zur Abschaffung des Zweikammersystems eine Abfuhr erteilt. Nahezu zwei Drittel der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab – so hoch war die Beteiligung bei einer Volksabstimmung selten zuvor gewesen.

So viel Einsatz für die Rettung der zum Teil uralten, überbezahlten italienischen Senatoren? Nein. Worum es ging, das hatte Komiker-Politiker Beppe Grillo, der lauteste No-Kämpfer, deutlich gesagt. Seine Wahlempfehlung: Die Leute sollten „sich die Gesichter der Personen anschauen, die für Ja werben und dann Nein stimmen“.

Das Wahlergebnis war also vor allem eine Ohrfeige für die Person, den politischen Stil und den Modernisierungskurs des Premiers: Renzi selbst hatte das Votum an seine politische Zukunft geknüpft. Es blieb ihm jetzt also gar nichts anderes übrig, als seinen Rücktritt einzureichen. Ein ungewollter politischer Selbstmordakt: Er hätte es ja einfach bei der ursprünglichen komplexen Fragestellung belassen können.

Der Ausgang der Abstimmung ändert aber gar nichts an der satten Parlamentsmehrheit der regierenden Linksdemokraten. Es gibt also keinen Grund, Neuwahlen auszurufen, wie es die Opposition fordert.

Allerdings stellt sich jetzt schon die Frage, wie dieses Postreferendum-Italien aussehen soll: Denn aus welcher Motivation auch immer Renzi das Votum personalisierte – Selbstüberschätzung, Eitelkeit, um Rückhalt für seinen Reformkurs zu erhalten –, der Schuss ging nach hinten los. Er hat sich isoliert, seinen vielen Gegnern, auch in der eigenen Partei, eine Angriffsfläche geboten. Aber vor allem hat der hyperdynamische Premier, der noch bei den EU-Wahlen 2014 seinen Linksdemokraten zum Erdrutschsieg verholfen hat, seine Wählerschaft verkannt. Renzi war – bei all seiner Egomanie – der erste Premier überhaupt, der es mit seinen Zukunftsvisionen ernst meinte. Freilich, mitunter hat er bei seinen Ankündigungen etwas dick aufgetragen, der Effekt seiner Reformen ist (noch) nicht in der Realwirtschaft angekommen. Aber der Premier hat den Weg in Richtung Erneuerung und Zukunft zumindest eingeschlagen, er und nicht Grillo hat der verhassten „Kaste“ – der starren Politikerklasse (inklusive Renzis eigener Partei) – die Stirn geboten. Er hat es geschafft, Italien im Kreis der großen EU-Staaten eine hörbare Stimme zu geben. Zu all dem sagten die Wähler „no“.


Also nicht einmal der „Renzismus“, dieser etwas populistische Mix aus wirtschaftsfreundlicher Reformpolitik und jugendlich-cooler Lässigkeit, überzeugt. Renzi selbst wurde zum Inbegriff der „Kaste“. Dahinter mag Wut, Frust, Bitterkeit, Politikverdrossenheit oder einfach nur das Bedürfnis stehen, „all denen da oben“ eine Lektion zu erteilen: Was angesichts jahrzehntelanger Stagnation, Arbeitslosigkeit, Vetternwirtschaft und Korruption nachvollzierbar sein mag. Dass Grillos „Fuck off“-Gebrüll kein politisches Programm ist, werden vermutlich inzwischen sogar die meisten seiner eigenen Wähler verstanden haben.

Leider dürften die Langzeitfolgen dieses Grundsatz-Neins für Italien fatal sein: Paradoxerweise droht dem Land eine Rückkehr zur altbekannten, so sehr italienischen „stabilen Instabilität“ , wie es Raiffeisen Research treffend formuliert hat. Will heißen: eine Folge aus Übergangsregierungen, Regierungskrisen und möglicherweise kunterbunten Megakoalitionen, um die Fünf-Sterne-Bewegung zu isolieren. Sogar vom Comeback Silvio Berlusconis ist die Rede. Er soll die Linksdemokraten im Parlament stärken.

Das Nein macht es italienischen Politikern künftig schwer, das Land für den internationalen Wettbewerb zu rüsten. Dafür bekommt Italien wieder sein altes Image als chaotischer, unberechenbarer Partner, der irgendwie weiterwurschtelt. Und rutscht zurück an die Peripherie Europas – in den Club Med, mit den anderen Problemkindern des Südens.

susanna.bastaroli@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2016)

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