Ein neuer Pisa-Schock als kleiner Schubser

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Pisa bietet reichlich Angriffsfläche. Aber vielleicht braucht es alle drei Jahre diesen Weckruf, um etwas weiterzubringen. Stichwort Bildungsreform.

Da freute sich Ex-Bildungsministerin Claudia Schmied (SPÖ) etwas zu früh: Die Trendumkehr sei geschafft, analysierte sie bei der Präsentation des vergangenen Pisa-Tests, die gerade noch in ihre Amtszeit fiel. Damals hatte sich Österreich in allen drei Bereichen verbessert und zumindest das Niveau der Anfangsjahre wieder erreicht. Das auch nicht sonderlich gut war – und das jetzt, da mehr als ein Fünftel der heimischen Schüler nicht ordentlich rechnen oder lesen können, da jeder Dritte in einem Bereich in der Risikogruppe ist, erneut unterschritten wird.

Es ist das inzwischen sechste Mal, dass die Leistungen der österreichischen Schüler international getestet werden. Und in den vergangenen Jahren machte sich eine gewisse Pisa-Müdigkeit breit. Nach dem ersten Schock – zumal für Länder wie Österreich – durch die ersten standardisierten Leistungstests nahm die Pisa-Skepsis immer mehr Raum ein.

Der Test versteife sich auf wirtschaftlich verwertbare Kompetenzen und ignoriere alles, was es neben Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften sonst noch gebe. Jener Teil des Wissens, den man unabhängig von verschiedenen Lehrplänen, Ländern und Sprachen vergleichen könne, sei im besten Fall winzig. Pisa messe vor allem Pisa und könne wenig über Schulstrukturen oder Unterrichtsqualität aussagen. Eine Gruppe von Experten warnte vor zwei Jahren sogar vor irreparablen Schäden durch die Messung verschiedener, vielfältiger Bildungstraditionen mit einem engen, einseitigen Maßstab.

Tatsächlich bietet dieser internationale Leistungsvergleich reichlich Angriffsfläche. Er sei ein politisches Projekt, kein wissenschaftliches, sagte wiederholt einer der prononciertesten heimischen Pisa-Kritiker, der Bildungsforscher Stefan Hopmann: Das Ziel der OECD sei gewesen, das Thema Bildungspolitik mit dem internationalen Leistungsvergleich massiv auf die Tagesordnung ihrer Mitgliedstaaten zu heben. Und in diesem Sinn sei das ja gelungen. Nun, das ist jedenfalls auch gut so.


Obwohl Pisa sicher nicht der Weisheit allerletzter Schluss ist, hat die Studie aber bewirkt, dass der (bildungspolitische) Blick auf Tatsachen gelenkt wird, die vorher kaum systematisch angegangen worden sind. Zum Beispiel wie schwer sich Migrantenkinder in unserem Bildungssystem tun. Wie (über-)groß die Rolle des sozialen Hintergrunds für den Schulerfolg ist. Wie dramatisch der Aufholbedarf bei Grundkompetenzen wie Lesen oder Rechnen ist. Oder – was bei dem aktuellen Pisa-Test besonders krass zum Vorschein gekommen ist – wie weit Mädchen in Mathematik und in den Naturwissenschaften hinter ihren männlichen Mitschülern zurückbleiben.

Man könnte nun einwenden, dass all diese Probleme nach sechs Pisa-Durchgängen seit dem Jahr 2000 inzwischen ausreichend identifiziert sind, dass man heute Bescheid weiß, woran es in Österreich hakt. Aber vielleicht braucht es alle drei Jahre wieder einen Pisa-Schock, eine kleine (oder manchmal größere) Erinnerung daran, dass es im heimischen Bildungssystem immer noch eine ganze Reihe von Baustellen gibt. Wobei man in eine Falle nicht tappen sollte, man erinnere sich an die inzwischen eingeschlafene Gesamtschuldiskussion: Pisa kann nur sehr bedingt darüber Aufschluss geben, welche Maßnahmen es braucht, um ein ganz konkretes Schulsystem zu verbessern. Dafür greift der Test zu kurz.


Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) versucht nun jedenfalls nicht schönzureden, was ohnehin nur schwer schönzureden wäre. Sondern sie findet ungewöhnlich deutliche Worte für das österreichische Abschneiden bei Pisa. Das Ergebnis sei inakzeptabel und erschreckend, sagt sie. Sie sei schockiert. Der Durchschnitt sei kein erstrebenswertes Ergebnis für ein Land wie Österreich. Es sei Zeit zu handeln.

Nun, einen Plan gibt es ja seit inzwischen mehr als einem Jahr. Vielleicht gelingt es mithilfe dieses neuen Weckrufs, der Bildungsreform – die Schulautonomie und die neue Schulverwaltung sollten eigentlich noch im Dezember unter Dach und Fach gebracht werden – wieder den nötigen Schwung zu verpassen.

E-Mails:bernadette.bayrhammer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2016)

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