Aufgehobene NS-Gesetze, österreichische Patrioten

Die Debatte um die Aufhebung der NS-Urteile zeigt, wie schwer sich Österreich mit der Vergangenheit noch tut.

In den vergangenen Wochen hätte die hektisch geführte Debatte um die Aufhebung von NS-Urteilen den Eindruck erwecken können, abertausende Soldaten der deutschen Wehrmacht wären desertiert. Dass sie sich dem Widerstand angeschlossen oder sonst Sand ins Getriebe des NS-Regimes gestreut hätten, um den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg mit einer schnelleren Niederlage Nazi-Deutschlands zu beenden. Dem war nicht so.

Umso mehr verdienen diese Männer den Respekt jenes Landes, das völkerrechtlich von NS-Deutschland widerrechtlich annektiert wurde: Österreich. Denn diese werden in der viel zitierten Moskauer Deklaration vom 30. Oktober 1943 indirekt erwähnt, die Österreichs Regierungen so gerne verwendeten. Zumindest den ersten Teil der Erklärung brachten sie immer ins Spiel, um die Souveränität Österreichs und die Rolle als Opfer Adolf Hitlers herauszustreichen. Dort heißt es zwar: „Die Regierungen des Vereinigten Königreiches, der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten von Amerika sind darin einer Meinung, dass Österreich, das erste freie Land, das der typischen Angriffspolitik Hitlers zum Opfer fallen sollte, von deutscher Herrschaft befreit werden soll." Aber wenige Zeilen danach folgt die Passage, die man nur als klare Aufforderung zu Widerstand und Desertion lesen kann: „Österreich wird aber auch daran erinnert, dass es für die Teilnahme am Kriege an der Seite Hitler-Deutschlands eine Verantwortung trägt, der es nicht entrinnen kann, und dass anlässlich der endgültigen Abrechnung Bedachtnahme darauf, wie viel es selbst zu seiner Befreiung beigetragen haben wird, unvermeidlich sein wird." Anders formuliert: Wer österreichischer Patriot sei, müsse Widerstand leisten und die Wehrmacht verlassen. Dem trägt der nun zwischen ÖVP, SPÖ und Grünen erzielte Kompromiss in Form eines Gesetzestextes Rechnung. In den Erläuterungen des sogenannten Aufhebungs- und Rehabilitationsgesetzes ist der gesamte Text der Deklaration ausdrücklich angeführt.

Dieses Gesetz ist vor allem symbolisch wichtig und richtig, neben den Deserteuren sind es die Opfer von Zwangssterilisationen und erzwungenen Schwangerschaftsabbrüchen durch die sogenannten Erbgesundheitsgerichte sowie auch Personen, die wegen gleichgeschlechtlicher Liebe verurteilt wurden. Bei Letzteren wird es auch Prüfungen einzelner Fälle geben, so es solche Anträge gibt. Denn Vergewaltigung oder Unzucht mit Minderjährigen ist logischerweise auch noch heute strafbar. (Dass in der NS-Zeit im Gegensatz zu unserem Rechtssystem sofort die Todesstrafe verhängt wurde und diese nicht symbolisch posthum aufgehoben wird, bleibt ein - akademisches - Problem für Juristen.)

Gefallen ist hingegen die von der ÖVP beziehungsweise dem Justizressort vorgeschlagene Einzelprüfung von Desertionen: In diesem Punkt hat sich die Vernunft - und das Engagement des Komitees „Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz" - durchgesetzt. Die im ersten Reflex von der VP-Seite angesprochene Ausnahme für Desertionen mit Tötungsdelikten war laut Justizministerin Claudia Bandion-Ortner ohnehin nur ein Missverständnis. Stimmt, es wäre ein falsches Verständnis der symbolischen Wirkung, vor allem aber auch der historischen Tatsache gewesen: Nur in ganz seltenen Fällen töteten Deserteure Kameraden und Vorgesetzte. FP-Chef Heinz-Christian Strache behauptet dennoch das Gegenteil, er begrüßte demnach auch die Verurteilung von Widerstandskämpfern wie Claus Maria Stauffenberg. Laut Justizministerium habe man in Österreich überhaupt nur zwei solcher Fälle in den Akten. Einer davon ist der Wilhelm Grimburgs, den die FPÖ gern als Beispiel anführt: Er erschoss laut eigenen Angaben zwei Offiziere, die befahlen, gegen die norwegische Freiheitsbewegung weiterzukämpfen, obwohl das Oberkommando der Wehrmacht bereits den Befehl zur Kapitulation gegeben hatte.

Die meisten Fälle von Desertionen waren aber ohnehin ganz anders: Vor allem kurz vor der Kapitulation erkannten viele die Auswegslosigkeit und die sichere Niederlage und wollten möglichst schnell zu ihren Frauen, Kindern und Müttern. In den letzten Kriegstagen wurden hunderte von SS und der Feld-Gendarmerie vielfach am Straßenrand aufgehängt. Darunter waren auch zahlreiche versprengte Soldaten, die ihre Einheiten verloren hatten und zwecks Abschreckung ermordet wurden. Diese „Urteile" werden nun aufgehoben. Übrigens nach deutschem Vorbild.

Stimmt schon, der Antrag von SPÖ, Grünen und der dankenswerterweise geschwenkten ÖVP hat symbolischen Charakter. Dass die Geste notwendig ist, zeigt auch die Diskussion der vergangenen Wochen.

rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2009)

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