Zukunftsmusik für die Staatsoper und ein schaler Nachgeschmack

 Bogdan Roščić
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Ein Quereinsteiger wird ab 2020 Opernchef – und man fragt sich, ob Minister Drozdas kulturpolitische Entscheidungen vielleicht doch Methode haben.

Es war, wie er bekannte, die wichtigste Entscheidung der bisherigen Manager- und Politikerlaufbahn unseres Kulturministers. Die repräsentative Kulturinstitution dieses Landes, die Staatsoper, wird ab 2020 vom ehemaligen Kulturjournalisten und derzeitigen Chef des CD-Labels Sony, Bogdan Roščić, geleitet. Man gibt also ein höchst komplex strukturiertes Haus mit mehr als 1000 Beschäftigten und einer Kapazität von etwa 300 Aufführungen pro Spielzeit in die Hand eines „Quereinsteigers“.

Das Risiko ist enorm. So eloquent der neue Mann auch über Ziele und Aufgaben eines Opernhauses referieren mag, er hat keine Chance, sich in der Führung eines solchen Riesenapparates zu üben. Worum geht es? Der Minister wünscht eine „Staatsoper 4.0“, eine Neupositionierung, obwohl man dem amtierenden Opernchef, Dominique Meyer, attestiert, das Haus stehe glänzend da. Doch hätten sich die Bedingungen geändert. Welche Bedingungen? Oper als Kunstform funktioniere seit 1945 nicht mehr, stimmt der designierte Direktor in den visionären Ton des Ministers ein – um die Lücke, die zwischen kulturpolitischem Traum und dem realen Anspruch eines international führenden Hauses wie der Staatsoper klafft, gleich selbst zu bestätigen: Reüssieren könnten immer nur Dirigenten und Sänger, die imstande seien, den Willen der Komponisten so akkurat wie möglich umzusetzen.

Diese Aussage steht nun so wenig quer zur aktuellen Situation im Haus am Ring wie die Erkenntnis, dass Zeitgenössisches nicht nur bei Uraufführungen präsent sein dürfe. Man möge, meint Roščić, auch vielversprechende Stücke zum Zug kommen lassen, die ihre Weltpremiere schon hinter sich hätten. Hier überholt die Realität den künftigen Direktor: Neuere Werke hat Dominique Meyer längst in den Spielplan integriert. Was könnte also „Staatsoper 4.0“ bedeuten? Wäre tatsächlich eine Neuausrichtung nötig, weil sich die Umstände seit zehn Jahren radikal geändert hätten, hätte man Meyer gar nicht auffordern dürfen, sich nochmals zu bewerben. Dass man nun auf die Fortführung seines künstlerisch wie finanziell potenten Kurses verzichtet, ist, gelinde gesagt, eine Beleidigung für den erfolgreichen Manager. Und der ausgehandelte New Deal könnte, lauscht man den Ausführungen des designierten Nachfolgers, wie so oft in Österreich, wieder einmal aussehen, wie Nestroy ihn beschreibt: „Überhaupt hat der Fortschritt das an sich, dass er größer ausschaut, als er tatsächlich ist.“

Der künftige Intendant spricht zwar klug über Konzepte und beruft sich sogar auf einen prominenten Vorgänger, nämlich Gustav Mahler. Doch dieser hatte viel einschlägige Erfahrung gesammelt, als er 1897 in Wien antrat. Roščić muss sich den heiklen Posten aber sehr zeitgemäß via Learning by Doing erobern. Dem Beweisnotstand versucht er durch einen Verweis auf die USA zu entgehen. Dort ist das – übrigens von Roščićs Sony-Vorgänger, Peter Gelb, geleitete – größte Opernhaus, die New Yorker Met, halb leer. Das stimmt, aber die Wiener Oper ist knallvoll.

Ob da eine Art wienerische Kulturrevolution im Gange ist, fragte sich mancher Beobachter schon angesichts früherer „Zukunftsentscheidungen“ von Thomas Drozda. Beim Belvedere hat der Minister vorexerziert, wie leicht man eine ökonomisch wie künstlerisch erfolgreiche Managerin abberufen kann, ohne viel Oppositionsgetöse zu verursachen. Dabei ging es in der Causa Belvedere um nicht einmal ein Promille (!) jener Summe, die man zuvor im Burgtheater in den Sand gesetzt hatte. Dort war Drozda als Finanzchef – also mit vollem Durchblick – sehr einverstanden, dass seine damalige Stellvertreterin zu seiner Nachfolgerin wurde. Das Ergebnis ist bekannt. Silvia Stantejsky sei „eine exzellente Wahl für die Kontinuität der Geschäftsführung“ – war dieser Satz ein Synonym für „hinter mir die Sintflut“? Vielleicht ist Drozda ja auch gar nicht mehr Kulturminister, wenn Bogdan Roščić sein Amt antritt . . .

E-Mails an:wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2016)

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