Kerns Ikea-Katalog für Österreich

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Christian Kern hat ein buntes, selbstbewusstes Programm für zehn Jahre Kanzlerschaft (!) vorgelegt. Für die ÖVP bietet es kaum Grund für Neuwahlen.

Die gute Nachricht zuerst: In Zukunft soll die Reparatur von High Heels und anderen (Damen-)Schuhen zur Hälfte vom Staat übernommen werden. Zumindest wenn es nach dem Willen von Kanzler Christian Kern geht. Aber halt, bevor an dieser Stelle die Bestätigung von Kerns negativer Einschätzung über den österreichischen Politik-Journalismus erfolgt und Häme die Sachlichkeit verdrängt, sei dieses kleine Detail in Kerns neuem Programm fair dargestellt: Der Kanzler will gegen die Wegwerfgesellschaft vorgehen und die Bürger mittels Förderungen dazu ermuntern, Elektrogeräte, Kleidung und vieles mehr (keine Kfz!) reparieren zu lassen. Das ginge vielleicht auch mit Steuererleichterungen für die Handwerker, die dies an den Kunden weitergeben könnten, aber wir sind schließlich in Österreich.

Und um auf der positiven Einschätzungsseite zu bleiben: In dem Kern-Magazin (45 Bilder von ihm auf 145 Seiten) mit dem schlichten Titel „Plan A“, dem fröhlichen Ikea-Untertitel „Das Programm für Wohlstand, Sicherheit & gute Laune“ und begleitet von einer fast Akademietheater-reifen Rede sind einige mutige Forderungen enthalten. So ist es gut, dass Kern immerhin über ein mehrheitsförderndes Wahlrecht nachdenkt, auch wenn die Ideen dazu reichlich vage klingen. Aber nur so könnten notwendige Reformen – egal ob, je nach Partei, mit einem Mitte-Links oder Mitte-Rechts oder Sehr-Rechts-Ansatz – umgesetzt werden. Auch die endgültige Bestätigung der aktuellen Flüchtlingspolitik samt Bekenntnis zur Obergrenze ist begrüßenswert. Solche Punkte werden es der ÖVP schwerer machen, den Ausstieg in Neuwahlen zu finden, oder es ihr, also Reinhold Mitterlehner, leichter machen, die Koalition bis 2018 zu schleppen.

Wichtig sind dabei die Forderungen, die Kern nicht erwähnt: Der Begriff Gesamtschule kommt nicht vor. Wenn Kern tatsächlich sinnlose dogmatische Gräben zuschütten will, nur zu! Natürlich sind auch Bruchlinien vorhanden. Die Forderung nach einem Mindestlohn von 1500 Euro wirkt in einer wirtschaftlich noch immer angespannten Situation provokant bis sonderbar: Wer soll die höheren Gehälter der viel zitierten Friseurinnen bezahlen? Der Eigentümer oder der Kunde? Beides kann schneller zu hunderten Betriebsschließungen oder weiteren Arbeitslosen führen, als die im Heft breit dargestellte Start-up-Offensive greifen kann. Viele Passagen in Rede und Programm bestehen aus hübschen Überschriften und charmanten Zielen – vor allem beim beliebten Kapitel Digitalisierung: Unternehmensgründungen? Entbürokratisierung? Mehr privates Geld für Unis? Mehr Anstrengung für den Schulausbau? Das Arbeitszeit-Monster bändigen? 12-Stunden-Tag? Die Flexibilisierung der Arbeitszeit überhaupt? Geht schon, einfach loslegen, Herr Bundeskanzler. Wir applaudieren, wenn es soweit ist.

Ähnliches gilt für den vielleicht besten Punkt des Programms: die Senkung der Lohnnebenkosten um mehrere Milliarden Euro! Die Gegenfinanzierung mit einer Wertschöpfungsabgabe, die im Papier nun Verbreiterung der Bemessungsgrundlage etwa auf fossile Energie heißt, bleibt noch vage, aber soll offenbar Möglichkeit für großkoalitionäre Verhandlungen bieten. Die Erbschaftssteuer für „Reiche“ wird mit der tatsächlichen Notwendigkeit, mehr Geld für die Pflege auszugeben, argumentiert. Das klingt besser, bleibt aber eine neue Steuer auf bereits versteuertes Vermögen.
Ein wichtiger Kritikpunkt: Kern will den Sparkurs in der EU beenden. Im Katalog steht leider nirgendwo, dass dieser in vielen Ländern (etwa in Österreich) kaum und nur halbherzig geführt wurde. Wahrlich traurig ist das Fehlen eines für einen Kleinstaat wichtigen Inhalts: Von unser außenpolitischen Rolle, von unserer Verantwortung in der EU, von unserer internationalen Position ist wenig zu lesen.

Stil, Inhalt und viele Maßnahmen (Gratis-Führerschein für Lehrlinge usw.) richten sich an mögliche FPÖ-Wähler oder solche, die es schon einmal waren: So gesehen ist Kerns Plan A sehr wohl ein Wahlkampfprogramm ohne Wahlkampf. Wie schreibt Kern selbst: „Von Presseaussendungen lässt sich die Wirklichkeit wohl kaum beeindrucken. Viel Arbeit wartet auf uns.“ Davon hält Christian Kern nun sicher keiner mehr ab.

E-Mails an: rainer.nowak.@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2017)

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