Die Rede, die der Bundeskanzler leider nicht gehalten hat

Symbolbild Redepult
Symbolbild Redepult(c) Michaela Seidler
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Auch diese Regierung hat bisher kein Reformkonzept zustande gebracht. Stattdessen gibt es getrennte Überschriftensammlungen der Parteien.

Liebe Österreicherinnen und Österreicher. Wie Sie wahrscheinlich schon bemerkt haben, beginnt unser zweifellos hohes Wohlstandsniveau zu bröckeln. Das hängt ursächlich mit der weitgehenden Reformuntätigkeit früherer Regierungen zusammen. Der Vizekanzler und ich haben deshalb das vergangene Dreivierteljahr genutzt und einen gemeinsamen Plan für die grundlegende Erneuerung dieses Staates ausgearbeitet. Wir glauben, dass Österreich damit zukunftssicher wird. Hier die Grundzüge.


• Wir werden das Wahlrecht grundlegend ändern, indem wir es von einem Listenwahlrecht auf ein Persönlichkeitswahlrecht umstellen. Das wird die Zusammensetzung des derzeit von Landesparteien und Interessengruppen dominierten Parlaments wieder bevölkerungsnäher machen und damit die schlimmsten Reformblockaden zumindest erschweren.

• Wir werden den Bundesstaat neu aufstellen, indem wir die Kompetenzüberschneidungen zwischen Bund und Ländern völlig entflechten und bereinigen. Die Länder bekommen weitgehend Steuerautonomie, müssen damit aber das Auslangen finden. Alle überregional wichtigen Bereiche – also auch etwa Bildung und Gesundheit – kommen zum Bund. Ein Einfluss von in der Verfassung nicht vorgesehenen Organen (etwa der Landeshauptleutekonferenz) auf Bundesgesetze wird künftig definitiv ausgeschlossen.

• Wir werden gleichzeitig mit der Entwirrung des Kompetenzwirrwarrs die Verwaltung verschlanken und auf eine Dimension bringen, wie sie in anderen gut verwalteten westeuropäischen Ländern, etwa Deutschland oder der Schweiz, üblich ist. Das betrifft nicht nur die unmittelbare Staatsverwaltung, sondern auch den Sozialversicherungsbereich, der auf maximal zwei Sozialversicherungsträger (Unselbstständige und Selbstständige) reduziert wird.

• Wir werden das Steuersystem vollkommen umbauen und auf die Erfordernisse des digitalen Zeitalters ausrichten. Das heißt, wir werden die Steuerlast von menschlicher Arbeit weitgehend auf Ressourcenverbrauch, Konsum und andere Wertschöpfungselemente umschichten. Der Umbau hat unter der Prämisse zu erfolgen, dass die Steuer- und Abgabenquote insgesamt um mindestens vier Prozentpunkte in die Nähe des EU-Durchschnittswerts abgesenkt wird.

• Wir werden jede einzelne Förderung evaluieren und nur solche in ein neues Förderungssystem aufnehmen, die ein klar definiertes Ziel verfolgen und messbare Ergebnisse in Richtung Zielerreichung bringen. Alle anderen Förderungen werden gestrichen, wodurch es möglich wird, das Fördervolumen von derzeit mehr als 19 Milliarden Euro im Jahr auf den europäischen Durchschnittswert zu halbieren.

• Wir werden die Sozialpartner beauftragen, ein schlüssiges Konzept für ein dauerhaft finanzierbares Sozialsystem (einschließlich Pensionen) vorzulegen, wobei auch hier im Sinn des Zero-Budgeting die Sinnhaftigkeit jeder Einzelmaßnahme ohne Rücksicht auf „ersessene“ Besitzstände zu hinterfragen ist.

• Die mittelfristig mit diesem Programm erreichten Einsparungen werden es uns ermöglichen, arbeitsplatzbelebende Staatsinvestitionen auszudehnen, ohne die exorbitant hohe Schuldenlast weiter zu erhöhen.

Für die Programmdetails reicht die Zeit hier nicht. Sie sind in einer umfangreichen Broschüre enthalten, die demnächst jedem österreichischen Haushalt zugesandt wird. Sie ist die Informationsbasis für eine Volksabstimmung, die innerhalb des nächsten Jahres über dieses Programm stattfinden wird. Bitte geben Sie uns das Mandat, Österreich zukunftsfähig zu gestalten. Wenn Sie mehrheitlich zustimmen, werden es die Blockierer schwerer haben, die Erneuerung zu verhindern.


Leider, Sie haben es schon bemerkt, ist diese Rede Fiktion. Sie ist nie gehalten worden. Wir haben wieder, von beiden Regierungsparteien getrennt, nur schöne Überschriften ohne wirklichen Umsetzungsplan erhalten. Sicher: Das bisschen Bewegung, das sich jetzt abzeichnet, ist besser als totaler Stillstand. Aber auf die wirkliche Erneuerung müssen wir weiter warten.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2017)

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