Könnten die Sozialpartner endlich die Regierung anerkennen?

REDE ZUR ZUKUNFT �STERREICHS ´WORAUF WARTEN? ZEIT, DIE DINGE NEU ZU ORDNEN´: KERN
REDE ZUR ZUKUNFT �STERREICHS ´WORAUF WARTEN? ZEIT, DIE DINGE NEU ZU ORDNEN´: KERN(c) APA/BARBARA GINDL
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Christian Kern hat ein Papier vorgelegt, das in Teilen sogar der ÖVP gefällt. Jetzt müssten nur noch Gewerkschaft und Kammern ihre Blockaden aufgeben.

Halten wir am Ende der Kalenderwoche zwei im Sinne guter Neujahrsvorsätze ausnahmsweise positive Entwicklungen in der Politik fest. In Wien räumt Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely das Feld und tritt einen Job bei Siemens in Deutschland an. Sie galt als Ablösekandidatin, Wehselys Krisenmanagement hatte noch Potenzial nach oben, um es zum Abschied höflich zu formulieren. Der Jobwechsel nach Deutschland ist auch eine elegantere Rochade als etwa der Gang in die lokale Arbeiterkammer.

Und ohne dem Mann schaden zu wollen: Einen Nachfolger wie Flüchtlings-, Drogen- und Alles-Koordinator Peter Hacker würde man sich angesichts der Spitalsmisere wahrhaft wünschen. Michael Häupl wird vielleicht noch eine kleine Neubesetzung kommende Woche durchführen. Jede Bewegung ist besser als die bleierne Lähmung des Wiener Rathauses.

Und weiter durch die rosa 2017er-Brille: Kanzler Christian Kern hat also eine lange und informative Rede gehalten, die jedem amerikanischen TV-Prediger zur Ehre gereicht hätte, nur Fidel Castro zu kurz gewesen wäre und deren optische Inszenierung offenbar quotenstarken Privat-TV-Formaten ohne Scheu vor Glanz und Klotz nachempfunden war.

Diese Conférence war keine Kampfansage an den Koalitionspartner. Es war keine Silbe von den Privilegien der Beamten oder den absurden Subventionen der Bauern enthalten. Es wurde auch keine linkspopulistische Eat-the-Rich-Brandrede, mit der flächendeckende Vermögensteuern und etwa die Verbreiterung von Sozialabgaben auf alle Einkommen gefordert wurden, wie von manchen befürchtet worden war. Es sind viele pragmatische – man könnte schreiben: manchmal harmlose Forderungen enthalten. Kern versucht, sich als Bruno Kreisky 4.0 zu positionieren, und verspricht, sich um alle und jedes Problem zu kümmern. Klar, Papa Staat hat auch schon die ÖBB gut gelenkt.

Natürlich sind einige Klassiker enthalten, die mit einer zumindest in der Theorie wirtschaftsliberalen Partei wie der ÖVP nicht machbar sein sollten (wieder eine neue Steuer, diesmal auf höhere Erbschaften, Einführung eines Mindestlohns) und dem eigentlichen Ziel Kerns widersprechen: Kapital in Österreich zu halten und deren Eigentümer zu ermuntern, es in neue Arbeitsplätze zu investieren.

Aber zahlreiche Passagen in dem die Rede begleitenden Kern-Papier, wie die Bereitschaft zur Senkung der Lohnnebenkosten, die Flexibilisierung der Arbeitszeit und Maßnahmen, die gerade stattfindende Digitalisierung auch proaktiv zu nützen, müssten der ÖVP gefallen. Müssten. Würde sie Kern und Koalition endlich einen Erfolg gönnen.

Apropos ÖVP und gute Reden: Die mit Abstand besten zum Thema Zukunft Österreich, und was dafür zu tun wäre, hielt einst ein gewisser Josef Pröll, charismatischer Rhetoriker und – damals – letzte Hoffnung für seine Partei. Es kam dann aber alles ganz anders. Und auf jeden Fall nicht so wie in seinen Reden.

Der ÖVP geht es jedenfalls wie der SPÖ: Beide Parteien und ihre Chefs sind Gefangene ihrer Kammern, Gewerkschaften und Interessenvertretungen. Beim Thema Bildung kommt Kern der ÖVP entgegen und verzichtet auf den Kampfbegriff Gesamtschule. Jetzt müsste nur noch die ÖVP die andauernde Blockade der Lehrergewerkschaft beenden, und wir könnten Nägel mit Köpfen machen. Doch dieser Wunsch ist ungefähr so leicht zu erfüllen wie eine Pensionsreform mit Alois Stöger. Dass dieses Thema nicht vorkommt, zeigt übrigens die Macht des genannten Ministers und der Gewerkschaft, der Kern im Wort ist.

Echte Reformen kann und wird es erst geben, wenn die alte Riege der Landeshauptleute und die Spitzen der Sozialpartner verstehen, dass, wenn sich die Welt rapide verändert, sich auch in Österreich die Strukturen ändern müssen. Die Sozialpartnerschaft war eine wunderbare Erfindung, Konsens und Lösungen für den Arbeitsmarkt, die Wirtschaft und das Land zu finden. 2016 war sie böse Einrichtung, die genau dies verhinderte. Wenn sie 2017 nicht liefert, sollten wir uns ernsthaft damit beschäftigen, sie auch zu hinterfragen, etwa mit einer Volksbefragung. Sonst redet der Kanzler sich wieder um sein Leben und nichts passiert.

E-Mails an:rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2017)

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