Nur die ehrlichsten, tugendhaftesten und intelligentesten Menschen sollten in die Regierung, forderte einst Platon. Heute haben wir Trump.
Wer noch einen Funken Hoffnung gehabt hat, dass Donald Trump nach der Angelobung zum 45. Präsidenten der USA vielleicht mit dem Amt wachsen wird, kann ihn nach dessen ersten Auftritt wieder begraben. Trump sprach am Wochenende vor der CIA, um seinen Konflikt mit dem Geheimdienst beizulegen, beschäftigte sich aber stattdessen mit einem Zählwettbewerb, beschimpfte Journalisten pauschal als „einige der unehrlichsten Menschen auf der Erde“, meinte, er führe einen „Krieg“ gegen die Medien, und spürte göttlichen Beistand.
Wer den Auftritt – zu Recht – versäumt hatte, Trump sagte unter anderem Folgendes: „Ich schau hinaus, das Feld war voll – es sah aus wie eine Million, eineinhalb Millionen Menschen. Sie (die TV-Anstalten, Anm.) zeigten ein Feld, auf dem mehr oder weniger niemand war.“ Und später: „Gott hat heruntergeschaut und gesagt: ,Wir lassen es bei deiner Rede nicht regnen.‘ Tatsächlich, als ich angefangen habe, dachte ich: Oh, nein. Beim ersten Satz wurde ich von ein paar Regentropfen getroffen. Aber die Wahrheit ist, es hat sofort aufgehört. Das war unglaublich. Und dann wurde es richtig sonnig. Und als ich (vom Rednerpult, Anm.) heruntergegangen bin, hat es geschüttet, genau als ich heruntergegangen bin. Es hat geschüttet.“
Der Präsident der letzten Supermacht der Welt glaubt also, dass Gott für ihn den Regen gestoppt hat, und er sorgt sich darum, wie viele Menschen bei seiner Angelobung waren, als ging es um TV-Einschaltquoten (und ja, sorry, Mr. Trump, es waren weniger als bei der Angelobung von Barack Obama).
Der griechische Philosoph Platon befasst sich in seinem Werk „Politeia“ mit der Frage, wem die Regierung anvertraut werden soll. Dafür kämen, schreibt Platon, nur die ehrlichsten, tugendhaftesten und intelligentesten Menschen infrage, die ihre Charakterfestigkeit über einen langen Zeitraum bewiesen haben. Und Cicero spricht in „De re publica“ über die Pflicht des Klügeren, sich einzumischen und den Staat zu lenken.
Haben wir vielleicht am Ende die Politiker, die wir verdienen? Heute gehen die ehrlichsten, tugendhaftesten und intelligentesten Menschen kaum noch in die Politik, weil es eine Bürde und eine Qual ist. Politiker werden schlechtgeredet und lächerlich gemacht. Ein bereits verstorbener Journalist schrieb einst in einer mittlerweile eingestellten Tageszeitung („täglich Alles“) einen Kommentar über Politiker unter dem Titel „Jagt sie wie die Hasen“. Kein Wunder, wenn sich die gesellschaftlichen Eliten aus der Verantwortung für das Gemeinwohl verabschieden. Wer sich den Job eines Politikers heute noch antut, ist entweder das Ergebnis einer negativen Auslese oder hat sich tiefsten Respekt für seine Opferbereitschaft verdient.
Natürlich sind wir Journalisten nicht unschuldig an dieser Entwicklung. Statt mit Inhalten beschäftigt man sich lieber mit der Frage, wer die moderneren Anzüge trägt – Christian Kern oder Sebastian Kurz –, eher wird über Streit in der Koalition berichtet als über Erfolge (es gibt welche, wenn auch kleine), und neue Vorschläge von Politikern werden grundsätzlich kritisch bis ablehnend kommentiert.
Das Ergebnis ist jemand wie Donald Trump. Die Menschen finden plötzlich Gefallen an einem Antipolitiker, an jemandem, der mit dem politischen Establishment nichts zu tun hat und der es „denen da oben“, die ohnehin nie etwas zustande bringen und denen die unbestimmte Wut gilt, endlich einmal zeigen wird. Man verfällt einfachen Lösungen, weil einem niemand die komplexen Fragen erklärt. Zugleich wünschen sich die Menschen Politiker, die sagen, was sie denken. Und weil das so selten passiert, wählt man jemanden, der das macht – auch wenn das Gesagte völliger Schwachsinn ist.
Die Menschen sehnen sich nach Authentizität, nach Glaubwürdigkeit und nach sachlicher Leidenschaft – nach all den Eigenschaften, die Max Weber 1919 in seinem Vortrag „Politik als Beruf“ beschreibt. Und diese Eigenschaften finden sie ausgerechnet bei Donald Trump. Insofern kann die Politik tatsächlich etwas vom Phänomen Trump lernen.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2017)