Gebt Europas Geheimdiensten verbindliche Rechte und Pflichten

Gilles de Kerchove
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Informelle Kooperation trägt Früchte. Doch die Abwehr weltweit vernetzter Attentäter braucht mehr als Informationsaustausch nach dem Prinzip Gnade.

Der Alltag eines Agenten im frühen 21. Jahrhundert kennt keine Wertschätzung. Gelingt das Kunststück, einen Anschlag zu verhindern, sind öffentliche Dankesreden fast ausgeschlossen: Kaum jemand erfährt nämlich davon. Explodiert jedoch irgendwo in Europa eine Bombe, fallen die Urteile von Politikern und Kommentatoren vorhersehbar aus. Dann heißt es: Die Nachrichtendienste haben versagt.

Selten, aber doch gelangen fundierte Informationen über die Strukturen von Arbeit und Zusammenarbeit von Europas Diensten nach außen. Dann erfährt man, dass die öffentlich von ihren eigenen Regierungen gescholtenen Organisationen inzwischen still und leise in Echtzeit Informationen über Jihadisten teilen.

Bemerkenswert ist allerdings der Rahmen, in dem sie das tun. Der offensichtlich kleinste gemeinsame Nenner heißt in diesem Fall nicht EU, sondern CTG. In der sogenannten Counter Terrorism Group haben sich unter dem Eindruck von 9/11 bereits vor vielen Jahren die Chefs der Inlandsnachrichtendienste der Unionsstaaten sowie der Schweiz und Norwegens ihr eigenes – und ziemlich verschwiegenes – Paralleluniversum geschaffen. Vor allem die Schlapphüte der großen EU-Nationen meiden nämlich bis heute den Einfluss Brüssels wie der Teufel das Weihwasser.

Anders als Strafverfolgungsbehörden wie die Polizei sind Nachrichtendienste wichtige politische Führungsmittel. Sie dienen der Wahrung und Durchsetzung hoheitlicher Interessen. Die Pflege von Strafrecht und Moral ist in ihrem Wertesystem – im besten Fall – ein Nebenprodukt. Den Einfluss eines Staatenbundes wie der EU auf eine der letzten Bastionen nationaler Souveränität wollen die meisten Regierungen und Dienste um jeden Preis vermeiden. Der Unionsvertrag belässt die Themen der nationalen Sicherheit auch in der alleinigen Verantwortung der Mitgliedstaaten.

Das ist der Grund, warum sich die Dienste außerhalb der Union mit der Counter Terrorism Group ein Format geschaffen haben, in dem sie – für ihre Verhältnisse – offen miteinander sprechen. Die Gruppe funktioniert wie ein Polterabend: Was in der CTG war, bleibt in der CTG. Die Begehrlichkeiten von Brüssel, Europol und des gemeinsamen Anti-Terror-Koordinators, Gilles de Kerchove, kosten die Mitglieder dieses exklusiven Kreises nur ein müdes Lächeln: Sollen die nur reden.

Hat man die seltene Gelegenheit, mit informierten Personen dieses Zirkels zu sprechen, wird schnell klar: Mit Überheblichkeit oder gar Ignoranz hat die Abschottung nichts zu tun. Hintergrund für die Skepsis gegenüber institutionalisierten Schnittstellen zu Polizeibehörden und der EU ist die begründete Sorge, der Quellenschutz könnte aufgeweicht werden. Die Exekutive ist dazu verpflichtet, Ermittlungen gegen Personen zu führen, die einer Straftat – zum Beispiel Terrorismus – verdächtigt werden. Ein Nachrichtendienst denkt anders, sieht in Gefährdern zunächst die Möglichkeit, sie umzudrehen, als Quelle zu gewinnen und als solche längere Zeit zu führen. Ebendiese wertvollen Quellen würden jedoch Gefahr laufen zu verbrennen – wie es im Branchenjargon heißt –, wenn man zu viele Details ihrer Erkenntnisse mit Polizeibehörden teilt. Abgesehen davon erzählen sie auch viel Unsinn. Daher wird es wohl noch länger so sein, dass sich die Geheimdienste der Mitgliedstaaten in einem abgeschotteten Gebäude in den Niederlanden treffen, an dessen Eingang ein großes Verbotsschild prangt: „EU: Ich muss leider draußen bleiben.“


Für Europas Sicherheit ist es gut, dass es den Rahmen der CTG gibt. Ihr neues Lagezentrum zur Verfolgung von Jihadisten kann jedoch auch nur eine Wegmarke sein. Denn auf dem Papier existiert die Gruppe eigentlich gar nicht, ein formelles Rahmenwerk mit Rechten und Pflichten für die Mitglieder fehlt bis heute. Gespräche innerhalb der Gruppe sind meistens als geheim oder streng geheim klassifiziert. In Zeiten, in denen sich der internationale Terrorismus sozusagen grenzenlos organisiert, darf sich die Antwort Europas nicht auf eine unverbindlich tagende Herrenrunde hinter dicken Polstertüren beschränken.

E-Mails an:andreas.wetz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2017)

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