Der Euro in der Mogelpackung

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Politische Einflussnahme, falsche Angaben und Tabus: Die Währungsunion braucht eine unabhängige Aufsicht und demokratische Kontrolle.

Es ist ein kleines Wunder, wie stabil der Euro durch die Untiefen der Finanz- und Schuldenkrise manövriert wurde. Vielen Prognosen zum Trotz hat er weder intern Hyperinflation ausgelöst noch extern in erheblichem Maße Wert verloren. Mit vielen Tricks und Hebeln ist es den Koordinatoren der Euro-Gruppe und der Europäischen Zentralbank gelungen, das gemeinsame Währungsschiff aus dem akuten Gefahrenbereich zu steuern. Aber sind wir ehrlich: Dafür wurden Regeln (Bail-out-Verbot) gebrochen und vor allem auf Zeit gesetzt (Griechenland-Krise). Der Euro ist in der Mogelpackung geblieben, ihm kam nur zugute, dass in der heutigen Finanzwelt Psychologie ein höheres Gewicht hat als Fakten.

Anders gesagt: Er ist eine politische Währung geblieben und bleibt damit auch weiterhin anfällig. Wie groß der politische Einfluss auf den Euro selbst bei der „unabhängigen“ EU-Kommission ist, wurde durch die vorgelegte Bewertung der wirtschaftlichen Ungleichgewichte belegt. Statt Frankreich und Italien für deren fiskale Probleme abzumahnen, von Berlin Reformen zur Reduzierung der Leistungsbilanz zu fordern, fiel das Urteil angesichts der bevorstehenden Wahlen beziehungsweise drohenden Neuwahlen sanft aus. Wer will schon in Brüssel einen Sieg der Euro-Gegnerin Marine Le Pen, einen Vormarsch der AfD oder ein weiteres Erstarken der euroskeptischen Gruppen rund um Beppo Grillo provozieren?

Nach politischen Kriterien gemessen, ist das verständlich. Doch in einer Währungsunion sollte die institutionalisierte Kontrolle keinen solchen Beigeschmack haben. Sie sollte glaubwürdig sein und der Sachlichkeit verpflichtet. Seit seiner Gründung werden freilich alle Versuche, den politischen Einfluss auf den Euro zu reduzieren, abgeschmettert. Zu groß ist die Angst der Regierungen, die Stabilität gegen Machtverluste einzutauschen. So wurde der Stabilitätspakt zuerst von Deutschland und Frankreich ohne Sanktionen gebrochen; so gelang es Griechenland über Jahre, seine Haushaltszahlen zu schönen; so wurden Rettungsschirme außerhalb des EU-Rechts aufgestellt, der EU-Kommission nie ausreichend Macht für die Kontrolle der nationalen Fiskalpolitik gegeben. Und wäre es nach dem Willen der französischen Führung gegangen, wäre sogar die Zentralbank ans politische Gängelband genommen worden.

Was der Euro für die Zukunft braucht, ist ein gutes Stück mehr Glaubwürdigkeit. Er bräuchte eine wirklich unabhängige Kontrolle und Einflussmöglichkeiten bei Fehlentwicklungen in einzelnen Ländern. Trotz Nachbesserungen in der Krise ist das heute nicht gegeben. Es gibt nur ein regelmäßiges Monitoring der aktuellen Lage – und selbst die kann das eine oder andere Mal geschönt werden. Strafen für Haushaltssünder, für unverantwortliche ökonomische Verzerrungen bleiben ein Tabu.

In Europa gab es in der Geschichte bereits mehrere Währungszusammenschlüsse. Sie alle sind zerbrochen. Sollte der Euro Bestand haben, muss er an innerer Stärke und sachlicher Glaubwürdigkeit gewinnen.


Vorschläge dafür gibt es zur Genüge, und der Zeitpunkt nach dem Brexit wäre eigentlich ein idealer. Allein, der Mut und die Weitsicht fehlen derzeit. Ob nun das Schäuble-Lammers-Papier aus dem Jahr 1994 oder die jüngeren Vorschläge des ehemaligen französischen Präsidenten Valéry Giscard d'Estaing hergenommen werden. Sie alle gehen davon aus, dass sich um den Euro ein neuer, vertiefter Kern der EU herausbilden sollte. Ein Kern, in dem so etwas wie ein gemeinsamer Finanzminister mit Durchgriffsrecht in währungsrelevanten Fragen geschaffen wird, in dem eindeutige vertragliche Regeln geschaffen werden.

Einwände, dass es dabei nur um ein Abziehen nationaler Kompetenzen nach Brüssel geht, sind naiv. Der Euro ist kein nationales, sondern ein europäisches Projekt, er benötigt auf dieser Ebene seine Kontrolle, seine parlamentarische Überwachung und gerichtliche Zuständigkeiten. Er muss demokratisch und rechtsstaatlich ausbalanciert und vor allem dem Einfluss der 19 teilnehmenden Regierungen entzogen werden.

E-Mails an:wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2017)

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