Alexej Nawalnyj, Putin und die ewigen Gesetze der Revolution

Seit 2011/2012 hat Russlands Präsident ein Protesttrauma. Auch deshalb wird die Erinnerung an die Revolution vor 100 Jahren in engen Grenzen gehalten.

Am vergangenen Sonntag konnten bullige russische Bereitschaftspolizisten in ihren martialischen Monturen wieder einmal im ganzen Land herzhaft auf Demonstranten einprügeln und sie massenhaft in Arrestbussen verschwinden lassen. In über 80 Städten von St. Petersburg bis Wladiwostok hatten sich Zehntausende überwiegend junge Leute an überwiegend nicht genehmigten Protestkundgebungen beteiligt. Organisiert worden war das alles via soziale Medien – wie sonst auch? Über offizielle Kanäle sind Aufrufe zu regierungskritischen Demonstrationen unmöglich. Aufgerufen hatte der charismatische Oppositions- und Antikorruptionsaktivist Alexej Nawalnyj.

Offensichtlich ist man im Kreml überrascht, dass Nawalnyj trotz des herrschenden repressiven Klimas, der strengen Strafen für die Teilnahme an unangemeldeten Demonstrationen und der weitgehenden staatlichen Beherrschung des Informationssektors so viele Leute mobilisieren konnte. Man sollte es nicht sein: Nawalnyjs Video über das sagenhafte Immobilienimperium von Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew in Russland und Italien ist auf YouTube ein Renner und wurde millionenfach aufgerufen. Ja, genau der Medwedjew, der einst als Wladimir Putins handverlesener Vertreter im Präsidentenamt den Kampf gegen die Korruption und für die Modernisierung der russischen Wirtschaft und Gesellschaft auf seine Fahnen geschrieben hatte.

Putin fiel in seiner gestrigen Pressekonferenz zu all dem nicht mehr ein, als zu erklären, er sei ja auch gegen Korruption, aber der Kampf gegen Korruption dürfe nicht für Wahlkampfzwecke missbraucht werden. Das richtete sich natürlich gegen Nawalnyj, der wegen der Ereignisse am Sonntag für 15 Tage im Gefängnis sitzt. Und es ist davon auszugehen, dass er noch länger aus dem politischen Verkehr gezogen wird, weil ihn Putin bei der Präsidentschaftswahl im März 2018 wohl nicht als Konkurrenten haben will.

Seit der großen Protestwelle gegen die gefälschte Duma-Wahl vom Dezember 2011, die einen Tag vor seiner erneuten Einführung ins Präsidentenamt am 7. Mai 2012 einen Höhepunkt erreicht hat, leidet Putin offenbar an einem Protesttrauma. Die brutale Auflösung der Protestbewegung auf dem Moskauer Bolotnja-Platz war eine Art Wendepunkt: Seither hat Putin sämtliche Schrauben staatlicher Repression angezogen, alles wird unternommen, damit es in Russland zu keiner Farbrevolution oder einer Protestbewegung nach der Art des Arabischen Frühlings kommen kann. Bis zum vergangenen Sonntag ist das ja auch weitgehend gelungen, sieht man von hier und da aufflackernden lokalen Protesten gegen soziale Missstände oder zu unverblümte korrupte Machenschaften ab.

Die Furcht der Moskauer Machthaber vor Protesten geht sogar so weit, dass die offizielle Erinnerung an ein welthistorisches Ereignis in engen Grenzen gehalten wird: die Russische Revolution vor 100 Jahren. Die medial weltweit beachtete Februarrevolution 1917, die zum Sturz der Zarenherrschaft geführt hatte, war in Russland keiner großen Betrachtungen, Neubewertungen und Diskussionen wert. In der offiziellen Interpretation werden die Februarrevolution, der Putsch der Bolschewiki im Oktober und der bis 1921 dauernde Bürgerkrieg zwischen Roten und Weißen in die „Große Russländische Revolution“ vermanscht.


Putins Lektion aus der Geschichte vor 100 Jahren lautet „Versöhnung und Stärkung der gesellschaftlichen, politischen und zivilen Einheit“. Dagegen dürfe es „Spaltung, Groll, Verletzungen und Verbitterung aus der Vergangenheit“ im heutigen Russland nicht mehr geben. Klingt vernünftig, nur geht es Putin dabei letzten Endes nur darum, dass sich das Land hinter seinem Regime vereint und sich von Leuten wie Nawalnyj, die mutig auf Korruption und Machtmissbrauch in diesem Herrschaftssystem hinzeigen, nichts sagen lässt.

Eine Lektion, die Revolutionen parat halten, übersieht Putin aber: Es gibt keine Gesetzmäßigkeit, wann gesellschaftliche Unzufriedenheit in eine offene Revolte umschlägt. Und es gibt auch keine absolut sichere Methode, wie ein System mittels Repression einen Volksaufstand dauerhaft verhindern kann.

E-Mails an:burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2017)

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