Europas Politiker müssen Erdoğan klarmachen, dass sie das Kippen der Türkei in ein autoritäres System nicht akzeptieren – und trotzdem Türen offen halten.
Er hat eine stabile Türkei versprochen, ein Land, in dem Ruhe und Wohlstand herrschen. Dafür hat Recep Tayyip Erdoğan etwas gefordert: Er wollte, dass die Türken das Präsidentenamt – und damit in weiterer Folge ihn – per Referendum mit einer ganz neuen Machtfülle ausstatten. Das haben sie, zumindest laut türkischer Regierung und Wahlkommission, mit einer hauchdünnen Mehrheit getan. Doch die versprochene Stabilität ist nicht in Sicht. Die Opposition will das Ergebnis nicht akzeptieren. Das lässt unruhige Zeiten befürchten. Denn Erdoğan und seine Anhänger haben bereits den Sieg verkündet und denken nicht daran, sich ihn wieder nehmen zu lassen.
Anders als die Führung der linken, prokurdischen HDP blieben die Spitzenpolitiker der größten Oppositionspartei, der kemalistischen CHP, bisher von polizeilicher Verfolgung weitgehend unbehelligt. Sollte sich der Streit zwischen Regierung und CHP um die Gültigkeit des Referendums aber auf die Straße verlagern, würde das hochbrisanten Sprengstoff in sich bergen. Vor allem, wenn die Regierung in Versuchung geriete, auch diesen politischen Konflikt mithilfe des Sicherheitsapparats auszutragen. Denn anders als die kleinere HDP ist die CHP tief im türkischen Mainstream verankert.
Die Türkei ist bereits jetzt mit einer ganzen Reihe massiver Probleme konfrontiert: Beim Nachbarn Syrien tobt ein verheerender Bürgerkrieg, in dem die türkische Regierung freilich als einer der externen Spieler mitmischt. Kein anderes Land hat so viele syrische Flüchtlinge aufgenommen wie die Türkei. Zugleich hat der Konflikt in Syrien auch in einer anderen Form die Grenze zur Türkei überschritten – in Form blutiger Anschläge des sogenannten Islamischen Staates (IS).
Der Friedensprozess mit den Kurden liegt in Scherben. In der Südosttürkei herrscht Kriegszustand zwischen der Armee und der kurdischen Untergrundorganisation PKK. Die Sicherheitskräfte gehen mit massiver Gewalt gegen aufständische kurdische Städte vor. Und kurdische Attentäter haben den Konflikt in Metropolen wie Istanbul getragen. Dann noch der Putschversuch im Juli und die massiven Gegenmaßnahmen der Regierung. Zigtausende Personen fielen Massenentlassungen und Verhaftungen zum Opfer– Menschen, die den Machthabern im Weg standen und wohl kaum in den Militärputsch verwickelt waren.
Für die türkische Führung wäre es an der Zeit, das Land endlich in ruhigere Gewässer zu steuern. Doch sie fügt nur ein weiteres Problem hinzu: Mit dem Referendum haben sich die Gräben weiter vertieft. Wenn Erdoğan nun darangeht, das Präsidialsystem zum Aufbau eines noch autoritäreren Staates zu benutzen, führt er das Land in noch mehr Instabilität – und immer weiter weg von Europa. Denn eine EU-Mitgliedschaft einer Türkei, die derartige autoritäre Strukturen aufweist, ist nicht denkbar.
Der EU-Beitrittsprozess war für die Türkei einst ein Reformmotor, gerade in den Anfangsjahren der Regierung Erdoğan. Für viele der EU-Staaten kam – trotz anderslautender Versprechen – eine Mitgliedschaft der Türkei in Wahrheit aber nie infrage. Die Entscheidung darüber, ob der Beitrittsprozess weitergeführt werden soll, könnte nun Erdoğan Europas Politikern abnehmen: Sollte er auch die Todesstrafe einführen, würde er die Beitrittsverhandlungen von sich aus abbrechen. Auch in Ankara weiß man, dass ein Land mit Todesstrafe nicht EU-Mitglied werden kann.
Damit würde Erdoğan jene Türken in Geiselhaft nehmen, die nicht mit seinen Plänen einverstanden sind. Und gerade das Referendum hat gezeigt, dass das nicht wenige sind: Selbst nach Angaben der Regierung stimmten nur etwa 51 Prozent für ein Ja zu Erdoğans Präsidialsystem. Und das, obwohl die Regierung mit einer ungeheuren Maschinerie an Propaganda und Repression für ein Ja geworben hatte.
Europas Politiker stehen nun vor einer schwierigen Aufgabe: Sie müssen Erdoğan endlich klarmachen, dass sie den Umbau der Türkei in ein autoritäres System nicht akzeptieren. Und zugleich müssen sie jenen die Tür offen halten, die sich in der Türkei dagegen wehren.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2017)