Leitartikel

Themenwechsel, jetzt – zum so gar nicht smarten Problem der Pflege

Symbolbild.
Symbolbild. (c) imago/Rene Traut (imago stock&people)
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Missstände, die die Volksanwälte bei Kontrollen in Heimen entdeckt haben, sind teilweise ein Fall für die Justiz – jedenfalls aber für die Politik. Ein Weckruf.

Beginnen wir zur Abwechslung mit einer Frage: Für welche Einrichtung mussten nach Prüfung durch eine anerkannte Institution folgende Empfehlungen abgegeben werden? „Der Zugang ins Freie ist ein Mal am Tag sicherzustellen.“ „Die Privat- und Intimsphäre ist zu wahren.“ „Eingriffe in das Recht auf persönliche Freiheit dürfen in sachlicher, räumlicher, zeitlicher und personeller Hinsicht nicht einschneidender als notwendig sein.“

Sollen diese am Donnerstag veröffentlichten Empfehlungen für Soldaten der koreanischen Volksarmee in Pjöngjang gelten? Für den Umgang mit Gefangenen in Guantánamo? Oder für aus politischen Gründen Inhaftierte in Sibirien? Falsch, alles falsch. Aus österreichischer Binnensicht leider falsch. Denn diese Empfehlungen sind Konsequenz einer Prüfung durch die in Wien ansässige Volksanwaltschaft und betreffen weder Gefängnisse noch weit entfernte Gegenden. Diese Empfehlungen gründen auf festgestellten Missständen in Pflegeheimen (!) im österreichischen (!) Bundesgebiet.

Manches von dem, was da berichtet wird, ist mit hohem Risiko für die betroffenen „Pfleger“ strafrechtlich relevant. Insgesamt schreit es aber nach einem Handeln der Politik. Sie wird tatsächlich aktiv. Sozialminister Alois Stöger, auch sonst nicht unbedingt die größte Nummer in Christian Kerns Kabinett, fordert die Bundesländer auf, in der Sache aktiv zu werden. Aus den angesprochenen Bundesländern fiel am Tag der Veröffentlichung des Berichts eine bemerkenswerte Aussage einer sonst bundesweit eher unauffälligen Landesrätin auf. Die Niederösterreicherin Barbara Schwarz agierte so, wie es seit Jahrzehnten in ihrem Bundesland praktiziert wird: Hinweise von Unzulänglichkeiten oder gar Kritik immer, immer, immer als Angriff auf die ÖVP oder die eigene Person sehen und sofort unter allen Umständen mit Gegenkritik zurückschießen. „Pauschale Verurteilungen“ seien „höchst unzulässig“, „kontraproduktiv“ und „ungerecht“ gegenüber den Beschäftigten. Negative Einzelfälle seien „kein Grund, ein gesamtes, engagiertes(sic!) Pflegesystem in Misskredit zu bringen“, so Schwarz. Ob sich da die Damen und Herren Volksanwälte noch in den Spiegel sehen können?
Dabei steht jetzt natürlich das gesamte Pflegesystem auf dem Prüfstand. Es muss angesichts der Missstände zu politischen Konsequenzen kommen. Nur, um nicht missverstanden zu werden: Damit sind zunächst keine in Österreich ohnedies eher illusorischen Forderungen nach Rücktritten politisch eigentlich Verantwortlicher gemeint.


Zuallererst begegnen wir einem alten Grundphänomen, das gar nicht wenigen Problemen zugrunde liegt. Die Pflege fällt in die Kompetenz der Bundesländer. Wie könnte es auch anders sein. Weshalb in Wien Döbling selbstverständlich andere Vorschriften hinsichtlich aller Rahmenbedingungen gelten als gleich nebenan, im niederösterreichischen Klosterneuburg. Das beginnt bei der behördlichen Genehmigung, geht über die personelle Ausstattung mit Pflegepersonal bis dahin, ob in jedem Zimmer ein Desinfektionsspender vorgeschrieben ist (einmal so, dann wieder so geregelt). Selbst die Rückgriffsmöglichkeit auf vor dem Zuzug in ein Pflegeheim bereits verschenktes Vermögen der Pflegebedürftigen schwankt zwischen drei Jahren in Wien und zehn Jahren in Vorarlberg.

Ob derartige Ausdifferenzierungen und Länderspezifikationen im Bereich der Pflege von kranken, alten oder behinderten Menschen sachlich gerechtfertigt sind? Nein, natürlich nicht. Ob eine realistische Chance besteht, diese völlig sinnentleerte, pervertierte Form eines Pseudoföderalismus abzustellen? Nein, natürlich nicht. Aber bundeseinheitliche Qualitätsstandards und Kontrollen, die derzeit offenbar völlig versagen, wären das Mindeste. Wenige, wie Caritas-Präsident Michael Landau, waren diesbezüglich bisher die berühmten Rufer in der Wüste. Das sind Themen, derer sich Politik und, ja, Medien anzunehmen hätten – abseits von Debatten darüber, ob, wo und wie Pizzen und Broschüren mit Hammer und Sichel verteilt werden. Auch, wenn das Thema vielleicht weniger smart erscheint oder weniger cool zu „verkaufen“ ist.

E-Mails an: dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.05.2017)

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