Leitartikel

Malaise à la française: Eine Wahl im Zeichen des Abstiegs

APA/AFP/DAMIEN MEYER
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Dass die Franzosen der Globalisierung besonders feindlich gesinnt sind, ist das Resultat einer beispiellosen Erosion des Vertrauens in die Politik.

Üblicherweise ist es nicht ratsam, die Konsequenzen eines Votums bereits am Wahlabend benennen zu wollen. Doch im Falle der gestrigen Präsidentenwahl in Frankreich sei eine Ausnahme gestattet: Der Sieg von Emmanuel Macron ist eine historische Zäsur. Zum ersten Mal seit der Ausrufung der Fünften Republik durch General Charles De Gaulle 1958 zieht ein Mann in den Élysée-Palast ein, der nicht Teil des Ancien Régime ist. Jene Parteien, die den französischen Wählern vertraut sind, wurden an den Wahlurnen abgestraft – und das gilt nicht nur für Sozialisten und Republikaner, also die Exponenten des Mainstreams, sondern auch für den rechtspopulistischen Front National und seine Anführerin Marine Le Pen.

Die Stichwahl gegen einen 39-jährigen Nobody, dessen Wahlbewegung „En Marche!“ erst im Vorjahr aus der Taufe gehoben wurde, war Le Pens wohl größte Chance auf das höchste Staatsamt. Dass sie schließlich mit voraussichtlich rund 38 Prozent abgeschlagen blieb, zeugt davon, dass die von ihr betriebene „Entgiftung“ der als Sammelbecken für Monarchisten, Demokratieverächter und Antisemiten konzipierten Partei nicht weit genug fortgeschritten ist, um die Mehrheit der Wähler davon zu überzeugen, die Geschicke Frankreichs den Frontisten anzuvertrauen. Dass Le Pen bei der Fernsehkonfrontation mit Macron am vergangenen Mittwoch alles andere als präsidial wirkte, trug zu ihrer Niederlage ebenso bei wie der durchschaubare Versuch, den Zentrumskandidaten am Vorabend der Stichwahl durch anonyme Vorwürfen zu diskreditieren.

Das Votum für Macron markiert zwar einen Paradigmenwechsel, doch man sollte sich trotzdem davor hüten, in dieses Ergebnis zu viel hineininterpretieren zu wollen. Den größten Fehler begehen jene, die seinen Wahlsieg zum Triumph gegen den Populismus hochstilisieren. Dass ein liberaler, europafreundlicher Kandidat das Rennen gemacht hat, ändert nichts an der Tatsache, dass im ersten Wahlgang rund die Hälfte der Franzosen für Kandidaten votiert hatten, die ihr Land aus der Europäischen Union führen und die Grenzbalken runterlassen wollen.

Der Strahlemann Macron überdeckt eine unbequeme Wahrheit: Überdurchschnittlich viele Franzosen halten die Globalisierung im Allgemeinen und die EU im Speziellen für Teufelszeug. Der weit verbreitete Wunsch nach einem retropopulistischen Paradies, in dem Milch und Honig fließen und die Zumutungen der Moderne nichts zu suchen haben, geht einher mit einer Erosion des Vertrauens in die Entscheidungsträger. Als Meinungsforscher vor wenigen Monaten von französischen Jungwählern wissen wollten, ob sie Politiker für gänzlich bzw. teilweise korrupt halten, antworteten 98 Prozent mit Ja. Zugleich sind drei von vier Franzosen davon überzeugt, dass sich die Dinge in ihrem Land in die falsche Richtung entwickeln.

Diese weit verbreitete Morosität ist der erste Handlungsauftrag an Macron: Er muss den Eindruck vermitteln, dass er erstens die Zügel fest in der Hand hat und zweitens fähig und willens ist, entschlossen zu handeln. Der Wahlsieger von gestern muss auch bei der Parlamentswahl im Juni reüssieren – denn ohne die Unterstützung der Assemblée ist sein Aktionsradius deutlich eingeschränkt. Geht die Parlamentswahl gut aus, wartet auf Macron die eigentliche Herkulesaufgabe: die Reform eines Staatswesens, das mittlerweile als Inbegriff der Immobilität gilt.

Seit den 1970er Jahren ist es keiner Regierung mehr gelungen, die Haushaltsbücher zu balancieren, dafür wurde der Arbeitskodex so aufgebläht, dass er mittlerweile den Umfang des Neuen Testaments übersteigt. Der Anteil des Staats an der Wirtschaftsleistung tendiert mit rund 57 Prozent Richtung Volksrepublik, die Arbeitslosenquote liegt über, das Wirtschaftswachstum unter dem EU-Schnitt – und bei der Staatsverschuldung ist die Hundertprozentmarke in Sicht.
Der Kampf gegen die systemische Reformunfähigkeit wird für den neuen Präsidenten zum wohl wichtigsten Erfolgsmaßstab. Macron hat fünf Jahre Zeit, Frankreich in Marsch zu setzen. Denn das nächste Rendez-vous mit dem Front National ist für das Jahr 2022 avisiert.

E-Mails an: michael.laczynski@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2017)

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