Die Zogajs sind Opfer

Wäre ich Innenminister, würde ich der Familie, anders als vor zwei Jahren, ein Bleiberecht zugestehen.

Dass Arigona Zogaj genauso wenig Anspruch auf Asyl haben würde wie ihr Vater, der 2001 illegal nach Österreich eingereist ist, und ihre Brüder, die nach ihrer Abschiebung erneut illegal nach Österreich eingereist sind, muss auch ihren Anwälten von Anfang an klar gewesen sein. Dass keines der Mitglieder der Familie Zogaj unter die Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention fällt, wurde bereits im Asylverfahren von Arigona Zogajs Vater klargestellt und seither auch von niemandem ernsthaft bestritten. Die Gewährung des sogenannten „subsidiären Schutzes“ auf Basis der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) kommt ebenso nicht in Betracht, auch hier geht es um die Frage, ob einem Antragsteller im Heimatland Folter, Todesstrafe oder gravierende Menschenrechtsverletzungen drohen. Bleibt als dritte Möglichkeit das „humanitäre Bleiberecht“. Die Entscheidung darüber liegt beim jeweiligen Innenminister. Günther Platter hat im Fall der Familie Zogaj bereits eine negative Entscheidung getroffen.

Es gibt also im Fall Zogaj weder im Hinblick auf die Gründe für den negativen Asylbescheid noch im Hinblick auf die Aussichten weiterer verfahrensrechtlicher Schritte irgendetwas Neues: Keines der Mitglieder der Familie Zogaj hat Anspruch auf Asyl oder subsidiären Schutz gemäß EMRK. Daraus folgt, dass die Familie das Land unverzüglich zu verlassen hat, außer die Innenministerin gewährt der Familie humanitäres Bleiberecht. Genau darauf zielen alle verfahrensverlängernden Schritte, die von den Anwälten und Unterstützern der Zogajs seit Jahren gesetzt werden: das Innenministerium durch den Nachweis der „Aufenthaltsverfestigung“, also Sprachkenntnisse, Integration, Ausbildung, Beschäftigung, unter Druck zu bringen.


Und genau diese Strategie ist der Anlass dafür, dass im Fall Zogaj aus guten Gründen von „Asylmissbrauch“ gesprochen wird: Die Betreuer der Familie haben in diesem Fall, in dem der Nichtanspruch auf Asyl so klar und so schnell deutlich gemacht wurde, durch immer neue Anträge für Verzögerungen gesorgt. Und dann wollten sie mithilfe einer massiven Medienkampagne und mit dem Argument, die Behörden seien dafür verantwortlich, dass es zur Aufenthaltsverfestigung gekommen sei, ein humanitäres Bleiberecht erzwingen. Das ist nicht nur juristisch, sondern auch moralisch ziemlich zweifelhaft.

Eigentlich will von dem Fall, der in den vergangenen zwei Jahren von Medien, Politik und Hilfsorganisationen auf so erbärmliche Weise ausgeschlachtet wurde, niemand mehr etwas wissen. Man will, dass das ewige Hin und Her mit den ewig gleichen Argumenten endlich ein Ende hat.

Nur: Welches Ende?

Die juristisch korrekte Antwort kann nur lauten, dass der mit dem negativen Ausgang des Asylverfahrens verbundene Ausweisungsbescheid zu vollziehen ist.

Das wird den Behörden und der Innenministerin eine Neuauflage der Kampagne des Jahres 2007 bescheren: Wie man denn so grausam sein könne, eine körperlich und seelisch zerstörte Frau, eine gut integrierte Jugendliche und deren kleine Geschwister gewaltsam in ein Land zu verfrachten, das längst nicht mehr ihre Heimat sei, und in dem sie keine Perspektive hätten.


Die Innenministerin muss und will wohl ihrer Linie treu bleiben, dass man sich nicht von einer wohlorganisierten Medien- und NGO-Kampagne erpressen und zur Nichtanwendung gültigen Rechts zwingen lassen könne. Das Signal, dass man es nur schaffen müsse, ein aussichtsloses Verfahren mit allen Tricks so lange zu verzögern, bis man genügend moralischen Druck zur Erteilung eines Bleiberechts aufbauen könne, wäre eine Einladung zum forcierten Asylmissbrauch.

Fest steht aber auch: Arigona Zogaj, ihre Mutter und ihre Geschwister sind Opfer. Zunächst Opfer der falschen Hoffnungen, die man ihnen gemacht hat und die sie sich selbst gemacht haben. Dann wohl auch Opfer eines Mannes, der wenig Rücksicht auf seine Familie genommen hat. Sie sind Opfer der Politik, die den Behörden aus Mangel an klaren Konzepten Spielräume gegeben hat, mit denen sie überfordert waren und sind. Zuletzt vor allem sind die Zogajs Opfer der Medien, von denen sie zur Bedienung der vermuteten politischen Reflexe ihrer Konsumenten skrupellos ausgebeutet worden sind.

Wäre ich Innenminister, würde ich der Familie heute, anders als vor zwei Jahren, in Anerkennung dieses Opferstatus ein humanitäres Aufenthaltsrecht gewähren. Und alles dafür tun, dass so etwas nicht noch einmal passiert.


michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2009)

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