Leitartikel

Asozial auf sozialen Kanälen

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Dieser Wahlkampf wird vor allem auch im Netz geführt werden. Das ist gut, weil gut konsumierbar. Das ist schlecht, weil es schrill und hysterisch werden wird. Eine Bitte um Mäßigung.

Der längste Wahlkampf aller Zeiten steckt uns noch in den Knochen, und schon läuft der nächste an. Das Werben um Wähler sollte – so die Kuverts halten und Briefwähler seriös ankreuzen und einwerfen – mit drei, vier Monaten wesentlich kürzer, aber nicht viel weniger persönlich und polarisierend geführt werden. Dem Vernehmen nach wird es sich um ein über mehrere Wochen andauerndes Dauer-TV-Duell handeln. Und: Es wird der erste Nationalratswahlkampf, in dem Kampagnen vor allem auch über die sozialen Medien anrollen und quasi endgültig eine weitere Wahlkampffront eröffnen.

Die Freiheitlichen, die fast allen Journalisten und Medien misstrauen, waren die Ersten und am erfolgreichsten, sich via Facebook und Co. eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen, die rhetorisch und emotional an den Wirtshausstammtisch erinnert, aber dank Algorithmus und hoher Anzahl an sogenannten Freunden eine unglaubliche Reichweite erzielt. Die Kleinparteien Grüne und vor allem Neos sind schon aufgrund der handelnden Politiker näher am Netz als die Altparteien. Mit Christian Kern und Sebastian Kurz sind Spitzenkandidaten am Start, die soziale Medien lieben und nützen. Kern ist auf dem Schön-Bild-Kanal Instagram ebenso glücklich wie Kurz auf dem Verknappungsdienst Twitter.

Also schön und modern in den kommenden Wochen teilen, liken und posten? Ganz sicher nicht. Die sozialen Medien werden und wurden als idealer Nährboden und Kanal für gnadenlose Diskreditierung des Gegners beziehungsweise der Demobilisierung seiner Anhänger verwendet. Ohne Skrupel und Hemmungen werden selbst private Verbindungen, Neigungen und Erzählungen verbreitet und vielfach erfunden. Fake News sind keine Erfindung schwatzhafter Medienprediger und Theoretiker, sondern eine alte Kulturtechnik, die einst in Büchern, Karikaturen oder Zeitungen angewendet wurde: Frei erfundene Anschuldigungen und absurd konstruierte Sachverhalte werden verbreitet. Neu ist nur eines: Die Bereitschaft, Lügen zu glauben und sie in der eigenen sozialen Digitalblase zu verbreiten, ist enorm gestiegen. Selbst Menschen mit Bildung und Erfahrung im Umgang mit angeblichen Fakten tendieren immer stärker dazu, Müll für Information zu halten, so dieser ins Weltbild passt.

Eine der wichtigsten Fähigkeiten intelligenter Menschen scheint breit zu verschwinden: zu differenzieren, andere Meinungen zuzulassen und Argumentationen, die den eigenen widersprechen, auf den Grund zu gehen. Das alles bedeutet weder das Ende der Demokratie noch den Untergang des Abendlandes durch die böse Digitalisierung. Im Gegenteil: Wir müssen nur erst lernen, mit all diesen Möglichkeiten umzugehen, und uns vor allem darauf einstellen, indem wir uns damit beschäftigen. Ein Beispiel unterhaltsamer Fake News war 1938 höchst effizient: Eine Satiresendung wird von wichtigen Nachrichten unterbrochen. Ein CBS-Reporter berichtet aus der Nähe von Grovers Mill, New Jersey, von einem „riesigen flammenden Objekt“, das auf eine Farm gestürzt sei. „Großer Gott – etwas kriecht aus dem Schatten wie eine graue Schlange. Das sieht wie Tentakel aus. Aber das Gesicht – es – es ist unbeschreiblich.“ Eine kleine Massenpanik in den USA war die Folge. Würde das heute funktionieren? Nein, jeder würde in seine Timeline schauen, zu schnell hätten User und Journalisten die Geschichte falsifiziert.

Aber zurück ins kleine Österreich 2017: Sebastian Kurz kündigt an, auf Dirty Campaigning verzichten zu wollen, und Christian Kern käme wohl Ähnliches über die Lippen. Das ist lieb, aber nicht der Punkt: Alle Kandidaten haben Anhänger, die weniger Skrupel haben und alles daransetzen werden, in der schon so hysterischen Wahlkampfstimmung mit weiterem Material die Stimmung anzuheizen. Das wird laut, das wird schrill, das wird verletzend. Interessanterweise hat Kurz die Rolle des FPÖ-Bösewichts übernommen: Er ist Ziel der gesammelten Häme und von nicht wenig Hass. In der Wahrnehmung hat das die ÖVP, der seit Jahren eher Platz drei zugerechnet wurde, endgültig in das Rennen um Platz eins katapultiert. Das beweist auch, wie kontraproduktiv zu viel Beschäftigung mit dem Gegner mitunter sein kann. Und genau dies ist der springende Punkt: Schlau und hygienisch wäre es, die sozialen Medien nicht zur Abrechnung mit dem Gegner, sondern zur Darstellung eigener Inhalte zu verwenden. Denn davon ist auf den sozialen Medien definitiv zu wenig zu lesen und zu sehen.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2017)

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