Leitartikel

An der Schmerzgrenze Europas steht die Fritteuse

Darf eine EU-Expertengruppe in die Zubereitung von Pommes frites eingreifen, um die Gesundheit zu fördern?

Was ist eine Schmerzgrenze? Eine Schmerzgrenze ist laut Definition die niedrigste Stärke eines Reizes, der vom Patienten als schmerzhaft empfunden wird. Sie hängt sehr mit der Sensibilität der jeweiligen Person zusammen – auch mit ihren bisherigen Schmerzerfahrungen. Für Gastwirte und Restaurantbetreiber liegt diese Schmerzgrenze nach kuriosen Volten im Nichtraucherschutz, nach der vom österreichischen Gesetzgeber aufgedoppelten Allergenkennzeichnung, nach peniblen Hygiene- und Arbeitsschutzbestimmungen sowie der Registrierkassa schon sehr weit unten. Es braucht nicht mehr viel, um einen Aufschrei auszulösen. Die eben in Brüssel vorbereiteten Auflagen für das Frittieren von Pommes frites und das Herstellen von Backwaren müssen also selbst den proeuropäischsten Gastwirt zusammenzucken lassen.

Muss sich die EU-Kommission tatsächlich in so individuelle Fragen wie das Herstellen von Lebensmitteln einmischen? Reichen noch nicht die Vorgaben für Staubsauger? Natürlich muss sie das nicht. Und sie täte gut daran, das Vorhaben schleunigst zurückzuziehen. Denn selbst wenn die Mitgliedstaaten später ihre nationalen Regeln dazu formulieren, würde sich der Ärger allein auf das gemeinsame Europa konzentrieren.

Wobei in dieser konkreten Frage das Problembewusstsein der EU-Experten nicht zu verurteilen ist. Es ist mittlerweile belegt, dass die falsche Temperatur beim Frittieren, Backen oder Rösten, die falsche Lagerung von Erdäpfeln oder einige Ingredienzien dazu führen, dass der krebserregende Stoff Acrylamid entsteht. Wer die Bevölkerung schützen möchte, darf natürlich solche Erkenntnisse nicht negieren. Es geht nur um die Frage: Wie damit umgehen?

Im Grunde gibt es zwei Herangehensweisen: die bürokratische und die pädagogische. Bei der bürokratischen Herangehensweise werden Imbissstuben und Restaurants neue, detaillierte Regeln für die Temperatur der Fritteuse, die genaue Lagertemperatur für Erdäpfel und die Verwendung bestimmter zuckerarmer Zusatzstoffe auferlegt. Bei der pädagogischen Alternative wird durch Aufklärung ein breites Problembewusstsein in der Bevölkerung geschaffen und werden Empfehlungen gegeben, wie das Entstehen krebserregender Stoffe sowohl in professionellen als auch in privaten Küchen verhindert werden kann. Denn – hier zeigt sich schon die Absurdität des Vorstoßes – die größten Fehler in der Ernährung geschehen ja nicht in Restaurants, sondern am eigenen Herd.

Derzeit ist nicht nur in Brüssel, sondern in vielen europäischen Ländern die Vorstellung verbreitet, eine bessere Welt könne erzwungen werden. Sie brauche nur die Obsorge durch immer neue Gesetze, Regeln und Verbote. Auch wenn die Auswirkungen immer mehr Menschen verärgern und gegen europäische und staatliche Institutionen aufbringen, wird davon nicht abgelassen. All das Gutgemeinte schränkt unser Leben bereits immer stärker ein. Es verhindert Kreativität, Eigenverantwortung und unternehmerische Aktivitäten.


Schmerzgrenzen verändern sich. Bei neuen europaweiten Regeln, die in individuelle Lebensgewohnheiten eingreifen, haben sie schon ein sehr geringes Niveau erreicht. In Österreich etwa braucht es nur noch die Erinnerung daran, dass eigentlich auch Wiener Schnitzel frittiert werden müssen, da gellt schon der Schrei vom Wienerwald bis zum Bodensee.

Die aktuelle EU-Kommissionsführung unter Präsident Jean-Claude Juncker hat sich die Aufgabe gestellt, die großen Fragen zu lösen und das Klein-Klein beiseitezulassen. Ein guter Vorsatz. Mit einem riesigen Investitionsplan hat sie beispielsweise die Einbrüche der Finanzkrise zu kompensieren versucht. Sie bemühte sich weit mehr um die Bewältigung der Migrationskrise, als dies allgemein bekannt ist. Sie versucht aktuell, die Rechtsstaatlichkeit in Polen und Ungarn zu retten. Schon ist die Stimmungslage zum gemeinsamen Europa besser geworden. Es braucht nicht den Zugriff auf die Fritteuse, um dies wieder zunichtezumachen.

E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2017)

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