Leitartikel

Und die Erde ist ein Halbmond . . .

Charles Darwin.
Charles Darwin. (c) imago/StockTrek Images (imago stock&people)
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Wenn der Repräsentant der Muslime in Österreich tatsächlich die Grundlage der Geschichte der Menschheit leugnet, haben wir ein echtes Problem.

Immer wenn man glaubt, es gäbe keine Steigerung der Finsternis und Rückschrittlichkeit mehr, überraschen einen die neuen alten mächtigen Männer Europas und Kleinasiens mit ihren immer autoritärer gemodelten politischen Systemen negativ.

Was etwa gerade in Polen passiert, ist ein Alarmsignal für Europa: Die Gewaltenteilung ist die verfassungsrechtliche Dreifaltigkeit, die so etwas wie eine Staatsreligion der Europäischen Union darstellen sollte. Dass die polnische Rechtsregierung diese mit einer Justizreform auszuhebeln versucht und die Richter und Staatsanwälte de facto an die Leine der Politik nehmen will, ist völlig inakzeptabel. Langsam, aber sicher scheint die EU genau einen Konstruktionsfehler zu haben: Um einen Partner dazu zu bringen, sich an die gemeinsamen Spielregeln zu halten, wären neue Möglichkeiten der Eskalation notwendig, bevor gleich der Stimmrechtsentzug kommt. Dem werden sich die anderen osteuropäischen Länder übrigens ohnehin nicht anschließen, da sie einen Präzedenzfall fürchten.

Einen solchen darf Europa und darf Österreich ebenfalls nicht tolerieren, der da gerade vor unserer Haustür passiert. Recep Tayyip Erdoğans Regime will die Evolutionstheorie Charles Darwins aus den Schulbüchern verbannen und damit die Religion offiziell über die Wissenschaft stellen: Nicht die Natur hat uns erschaffen, allein Gott hat uns kreiert (an dieser Stelle sei zur Vollständigkeit festgehalten, dass es auch christliche Fundamentalisten in den USA und in Rom gibt, die Derartiges begrüßen würden).

In der Türkei sollen „Säkularismus“, die „Wiedergeburt“ der Christen und „Atheismus“ in Religionsbüchern als „Krankheiten“ eingestuft werden, hat der türkische Bildungsminister, İsmet Yılmaz, Anfang des Jahres angekündigt. Das ist ein interessanter sicherheitspolitischer Zugang: Demnach müssten ja Hunderttausende Auslandstürken in Ländern Europas leben, in denen die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung krank ist. Dass auch der Gründer der laizistischen Republik, Mustafa Kemal Atatürk, in den Unterrichtsinhalten zur Fußnote schrumpfen beziehungsweise verschwinden soll, wird aber bei vielen Türken Gegenreaktionen auslösen: Geschichte lässt sich nicht einfach – beziehungsweise nur eine bestimmte Zeit lang – verdrehen und ausmerzen. Menschen erinnern sich – selbst über Generationen. Auch wenn und vielleicht, weil sich Erdoğan für Napoleon 4.0 hält.

Dieser Kulturkrieg, den die islamisch-konservative AKP-Regierung da im eigenen Land führt, schwappt nach Österreich: Ibrahim Olgun, Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, lässt Sympathien für die Pläne erkennen. Er hat anfangs Kritik geübt: „Der Islam steht immer für einen überzeugten, durch Wissenschaft belegten Glauben“, soll Olgun laut „Volksblatt“ gesagt haben. Dann nannte Olgun diese Zitierung eine „infame Unterstellung“. Und weiter: Die Islamische Glaubensgemeinschaft würde sich nie für „falsche Entwicklungen wie die Evolutionstheorie“ aussprechen. Und zur Abrundung: „Die Evolutionstheorie von Darwin ist nur eine Theorie.“

Der Islam möglicherweise auch, Herr Olgun?

Ohne nun weiter auf das Kommunikationsproblem zwischen Olgun und Journalisten einzugehen: Eine derartige abstruse Aussage des obersten Repräsentanten der Muslime in Österreich ist völlig inakzeptabel und sollte eigentlich zu einem Aufschrei des aufgeklärten Österreich unter einem Bundespräsidenten, der Wissenschaftler ist, führen. So, wie das offizielle Österreich scharf antisemitische Rülpser von einem FPÖ-Politiker anprangert, wäre eine politische Intervention notwendig: Van der Bellen sollte Olgun in die Hofburg zitieren, ihm ein mehrstündiges Seminar – vielleicht mit einem Kollegen aus der Naturwissenschaft – über die Grundlagen der Geschichte des Menschen geben und ihn überzeugen. Wenn das nicht gelingt und dieser Mann in diesem Job einfach bleibt, wird er sich als Nächstes offiziell folgender These anschließen: „Die Erde ist ein Halbmond.“

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2017)

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