Leitartikel

Der neue Einbruch des Wahns in die westliche Wohlfühloase

Gedenken an die Opfer des Terroranschlages.
Gedenken an die Opfer des Terroranschlages.APA/AFP/JOSEP LAGO
  • Drucken

Die IS-Attentäter können es weniger denn je schaffen, unsere Gesellschaft zu spalten. Aber unsere Angst vor dem Terror hat auch etwas Irrationales.

Auf Donald Trump ist Verlass, leider. Die Reaktion des US-Präsidenten auf den Terroranschlag in Barcelona ist so ziemlich das Geschmackloseste, was einem Politiker im Angesicht des Leides von Hinterbliebenen der Opfer einfallen kann. Während seine Kollegen in Europa um routiniert betroffene Worte ringen, schlägt der US-Präsident zu: Er lobt einen General, der angeblich einst auf den Philippinen 49 Muslime mit in Schweineblut getauchten Kugeln erschießen ließ.

Wer diese Legende aus ihrer modrigen Versenkung zerrt, verhöhnt eine Religion und glorifiziert die völkerrechtswidrige Massenhinrichtung von Kriegsgefangenen. Und macht sich einmal mehr zum idealen Handlanger der Jihadisten, die eben dies bezwecken wollen: dass ihr wahnwitziger Hass auf fruchtbaren Boden fällt, unsere Gesellschaften spaltet und ihrer Mörderbande neue Anhänger zutreibt.

Verlass ist leider auch auf die Terroristen. Vor allem, was die Auswahl ihrer Ziele betrifft. Die Ramblas: eine Flaniermeile, auf der Gäste von überallher unbeschwert ihre Ferien genießen, auf der Barça-Fans die Siege ihrer Mannschaft zelebrieren, Einheimische mit Touristen flirten oder über deren Überzahl lamentieren. Das Herz einer Stadt, die der fröhliche Trubel so „unbewohnbar“ macht, dass die halbe Welt in ihr wohnen will. Und in der Stille der Trauer mag man von fern noch den Jubel aus jenen Tagen hören, als die Barceloner auf ihren Boulevard strömten, um das Ende der Diktatur zu feiern. Er ist schlechthin der öffentliche Raum einer offenen Gesellschaft, der nach diesem Blutbad geleert und abgeriegelt werden muss, wenn auch nur für wenige Stunden.

Aber sonst? Nach dem noch groß angelegten Anschlag von Paris im November 2015 musste Europa weitere konzertierte Aktionen fürchten. Es folgten auch immer wieder Attacken, aber von Einzeltätern oder kleinen Zellen. Der Islamische Staat ist nicht mehr in der Lage, Ausbildungslager für Terroristen zu betreiben. Aber gerade weil sich das Kalifat auflöst, muss es im Westen weitermorden, schon um zu zeigen, dass es noch handlungsfähig ist. Sein „Low-Cost-Terrorismus“ setzt auf Kleinlaster, Messer und Macheten. Statt echter Sprengstoffgürtel fand man in Cambrils nur Attrappen; wer Gasflaschen explodieren lässt, hat wenig Ahnung vom Bombenbau. Sicher: Viele Anschläge haben die Sicherheitskräfte vereitelt, aber das spricht für ihre Schlagkraft und bessere Vernetzung (obwohl eine europäische Gesamtdatei der Gefährder noch fehlt). Wenn alle berühmten Plätze und Straßen mit Pollern gesichert sind, werden die Attentäter auf weniger emotional beladene Orte ausweichen.

Mit der Symbolkraft haben sie sich ohnehin verrechnet: Selbst wenn sie einem katholischen Priester in Frankreich die Kehle durchschneiden, stacheln sie nicht zu Gegengewalt an, sondern ernten eine eindrucksvolle Solidarität unter den Religionen.


Was bleibt, ist diese seltsame, diffuse Angst. Ein irrationales Gefühl: Die Gefahr für einen Europäer, einem Terroranschlag zum Opfer zu fallen, ist Tausende Male geringer, als beim Überqueren der Straße von einem Auto überfahren zu werden. Aber die Angst ist da, sie verpufft und kehrt zurück. Und sie treibt die Urlauber in scheinbar sichere Ferienziele wie Spanien, die gerade dadurch zum wahrscheinlichen nächsten Anschlagsziel werden. Wir pflegen und schüren diese kleinliche Angst – und lassen dabei unsere Werte der Freiheit und Toleranz verblassen, statt lautstark für sie einzustehen. Gerade dann, wenn sie auf kräftig lodernde Leidenschaften irregeleiteter Fanatiker stoßen.

Zugleich verschanzen wir uns in unserer Wagenburg Europa und schauen weg, wenn jenseits des Mittelmeers Gewalt und Elend regieren. Nein, wir müssen uns nicht schuldig fühlen an diesem Gefälle, das sich der radikale Islamismus perfide zunutze macht. Es genügt völlig zu sehen: Hinter der westlichen Wohlfühloase gibt es eine andere, rauere Welt. Dass es uns besser geht, dass wir die Gewalt überwunden haben, hat viel mit Demokratie und einem zivilisierten Umgang mit Konflikten zu tun. Wir setzen diese Errungenschaften aufs Spiel, wenn wir Politiker wählen, die Gewehrkugeln in Schweineblut tauchen wollen.

E-Mails an: karl.gaulhofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.