Leitartikel

Wenn uns Chinesen mit dem Jeep um die Ohren fahren

(c) APA/AFP/MARCO BERTORELLO
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Ein chinesischer Konzern will die US-Automarke Jeep kaufen. Das hat Symbolkraft. Es könnte bedeuten: Die Vorherrschaft des Westens geht zu Ende.

So ganz genau ist nicht bekannt, woher der Name „Jeep“ kommt. Es gibt Chronisten, die meinen, er stammt aus der Comic-Serie „Popeye“. Fest steht aber: Der Geländewagen ist Teil der amerikanischen DNA. Der Jeep, der ursprünglich nur für die US Army hergestellt worden ist, symbolisiert den American Way of Life wie Coca-Cola, McDonalds oder Hollywood.

Ausgerechnet diese symbolträchtige Automarke steht nun im Visier des chinesischen Autobauers Great Wall Motor. In einer Zeit, in der US-Präsident Donald Trump eine Mauer zu Mexiko bauen will und alles versucht, um zu verhindern, dass Automobilkonzerne billig beim südlichen Nachbarn produzieren lassen, illustrieren die Avancen von Great Wall Motor anschaulich, wie hoffnungslos und abwegig eine isolationistische Wirtschaftspolitik ist. Geht das Jahrhundert der amerikanischen Dominanz wirklich zu Ende? Sind diese wirtschaftspolitischen Rückzugsgefechte nur der Beginn einer neuen Zeitrechnung?

Nachrufe auf die USA sind eindeutig verfrüht. Noch vor wenigen Jahren waren sich Experten einig, dass China die USA spätestens im Jahr 2020 als größte Wirtschaft abgelöst haben wird. Mittlerweile hat sich auch in China das Wachstum abgeschwächt, und es sieht so aus, als ob das Überholmanöver in absehbarer Zeit nicht stattfinden wird. Das BIP pro Kopf ist in den USA sechsmal größer als in China.


Und dennoch gibt es rasante tektonische Veränderungen im weltweiten Wirtschaftssystem. Das zeigt ein Blick in den globalen Wettbewerbsbericht des World Economic Forum. Rangierten dort früher ausschließlich Länder wie die Schweiz, Deutschland oder die USA auf den vordersten Plätzen, so sind heute Singapur, Hongkong, Taiwan und Südkorea auf Augenhöhe. China liegt immerhin auf Platz 27 – und somit weit vor den europäischen Krisenlängern Spanien, Italien, Portugal und Griechenland.

„Nur, wer sich nicht auf dem Geleisteten ausruht, sondern sich in gewisser Weise verfolgt fühlt und die eigene Position immer wieder hinterfragt, gewinnt“, kommentierte einst die „Welt“ diese Entwicklung und titelte: „Darum sind paranoide Staaten erfolgreich.“

Das ist natürlich eine sehr gute Schlagzeile. Und tatsächlich hat man das Gefühl, dass die Paranoia mittlerweile vielerorts grassiert. Etwa in Washington. Selten so einen ausgeprägten Verfolgungswahn gesehen wie in der Administration Trump. Aber führt Paranoia tatsächlich zum Erfolg? Der wirtschaftliche Aufstieg Europas und Nordamerikas war doch keine Flucht. Es war vielmehr ein „großer Ausbruch“ wie es der Wirtschaftnobelpreisträger Angus Deaton genannt hat. Eine Befreiung vor Feudalherrschaft, Armut und Elend. Warum macht uns diese Freiheit plötzlich Angst?


Fünfhundert Jahre lang dominierten Europa und später die USA die Welt(-Wirtschaft), weil sie ihren Verfolgern stets einen oder mehrere Schritte voraus waren. Wettbewerb, wissenschaftliche Revolution, Rechtsstaatlichkeit, moderne Medizin, Konsumgesellschaft und Arbeitsethik waren für den schottischen Historiker Niall Ferguson die „sechs Killerapplikationen“ des Westens, die seinen Aufstieg gewährleisteten. Mittlerweile ist diese App weltweit verfügbar – quasi als Gratisdownload erhältlich. Und allmählich beschleicht einen das Gefühl, dass diese Apps vielerorts fleißig genutzt werden, aber immer seltener in Europa und in den USA.

Nachrufe auf die westliche Zivilisation sind verfrüht, auch wenn Ferguson meint: „Wir erleben gerade die Schlussphase des 500-jährigen Aufstiegs des Abendlandes.“ Wir erleben zweifelsohne eine Schwächephase. Und eine dieser Schwächen ist es, dass wir die Zukunft immer öfter als Bedrohung sehen und uns verkrampft an alte Konzepte klammern. An alte Automarken wie Jeep zum Beispiel.

Aber Erfolgsrezepte lassen sich nicht archivieren und schon gar nicht hinter großen Mauern beschützen. Das weiß man in China schon lange.

E-Mails an:gerhard.hofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2017)

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