Leitartikel

Erdoğan-Fans in Wien wird die Wahlentscheidung schwerfallen

Die Parteien sollten einen Weg finden, türkischstämmige Wähler anzusprechen und zur Teilhabe zu bewegen. Aber bitte ohne Politikergäste aus der Türkei.

Dezent und zurückhaltend wird der türkische Staatspräsident in diesem Leben nicht mehr. Jüngst mischte sich Recep Tayyip Erdoğan völlig ungehemmt in den deutschen Wahlkampf mit einer kleinen Empfehlung ein. Er hat die Deutschtürken, die er auch noch in der dritten Generation zu seinen schutzbefohlenen Untertanen zählt, dazu aufgerufen, auf keinen Fall die CDU, die SPD oder die Grünen zu wählen. Denn diese Parteien, so verkündete der Sultan, seien „Feinde der Türkei“.

Man muss verstehen: Für Differenzierungen bleibt in solchen Reden wenig Zeit. Und doch muss man fragen, wen Erdoğans Getreue in Deutschland denn nun wählen sollen. Die Linke wohl nicht: Die Nachfolgepartei der SED sympathisiert allzu offen mit den kurdischen Genossen. Die FDP, die bis vor Kurzem den Türkei-Kurs der deutschen Bundesregierung als knieweich kritisiert hat, bietet sich auch nicht an. Bei der stramm rechtspopulistischen „Alternative für Deutschland“ wird Erdoğan auch wenige Freunde finden. Und die CSU dürfte er in seinen Liebesgrüßen nach Berlin taxfrei der CDU zugeschlagen (und Angela Merkel damit wenigstens ein Mal eine klammheimliche Freude bereitet) haben.

Eine ähnliche Situation findet Erdoğan in Österreich vor, nur schon ein wenig länger. Es wird sich keine österreichische Partei, die nur den Funken einer Chance hat, in den Nationalrat einzuziehen, eine Wahlkampfunterstützung durch die türkische Regierungspartei AKP wünschen. Bei Erdoğan und Co. hat zuletzt eher die Gefahr bestanden, dass sie sich selbst einladen, um ungebeten die Gemüter des türkischstämmigen Publikums in Europa zu erhitzen. Unvergessen bleiben die Eklats, die AKP-Minister heuer ausgelöst haben, als sie auf deutschem und niederländischem Boden Propagandaveranstaltungen für das Referendum über die neue türkische Autokratenverfassung abhalten wollten.

Damals bildete sich zumindest zwischen Wien, Berlin und Den Haag der Konsens heraus, dass Erdoğan seine Politik der permanenten Polarisierung doch bitte auf seine engere Heimat beschränken möge. Aus gutem Grund: Denn der ohnehin herausfordernden Integration der türkischen Minderheit in Europa ist es sicherlich nicht förderlich, wenn sie dauernd vom selbst ernannten interplanetarischen Übervater aller Türken anagitiert wird, als zählte sie auch noch nach Jahrzehnten in Simmering und Kreuzberg zu dessen ewigem Herrschaftskreis.

Die Spaltung in der Türkei ist schon tief genug, sie muss nicht unbedingt in Europas türkische Gemeinden exportiert werden. Insofern trägt es nicht zur Beruhigung bei, wenn der Vizeklubobmann der türkischen Oppositionspartei CHP mit Staatssekretärin Muna Duzdar bei einer zu einer SPÖ-Wahlkampfveranstaltung umfunktionierten Versammlung der Außenstelle der sozialdemokratischen Kemalisten in Wien auftritt. Die Anhänger von Erdoğan werden zu Recht fragen, warum man ihnen in Österreich verwehrt, was ihren Gegnern gestattet ist. Quod licet CHP, non licet AKP?


Dennoch bleibt es ein Unterschied, ob ein Vertreter einer Partei wie der CHP nach Wien kommt, die für demokratische Grundrechte kämpft, oder ein AKP-Funktionär, der autokratische Willkür rechtfertigt. Und es ist auch ein Unterschied, ob türkischer Wahlkampf in Österreich betrieben wird oder ein türkischer Politiker einen Unterstützungsbesuch im österreichischen Wahlkampf absolviert. Solche länderübergreifenden Gesten der Parteisolidarität sind üblich: Guy Verhofstadt, Chef der Liberalen im Europäischen Parlament, war unlängst ja auch Stargast bei den Neos in Wien, und es hat sich niemand darüber aufgeregt. Doch ähnlich wie ein Deutschland wird Erdoğan auch in Österreich keine Partei finden, die um seine Wahlhilfe buhlt.

Die Alpenrepublik ist für ihn allerdings ohnehin nicht mehr satisfaktionsfähig. Er konzentriert sich ganz darauf, mit Verhaftungen deutscher Bürger im Wochentakt die Beziehungen zu Deutschland zu ruinieren. Ein ernstes Problem schürt Erdoğan jedoch da wie dort: die Entfremdung türkischstämmiger Wähler. Die Parteien müssen einen Weg finden, sie anzusprechen und zur politischen Teilhabe zu bewegen. Denn sonst werden sie sich nie ganz zugehörig fühlen. Und genau das will Erdoğan.

E-Mails an:christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2017)

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