Die im Dunkeln sieht man nun doch

Die Macht zu verlieren – für die SPÖ unvorstellbar. Mit allen Mitteln sollte das verhindert werden. Die negative Energie wandte sich letztlich gegen sie selbst.

Die Frage ist tatsächlich noch ungeklärt: Wer hat die Anti-Kurz-Facebook-Seiten nach der Verhaftung Tal Silbersteins am 14. August weiterbetrieben? Es gibt etliche Mutmaßungen, an denen sich auch der Kanzler beteiligt, ohne konkreter zu werden. Und wenn man Christoph Matznetter, dem Chefermittler der CSI Silberstein, so zuhört, gewinnt man den Eindruck, als seien Verschwörungstheorien doch keine rein rechte Domäne.

Am logischsten erscheint derzeit: Die bisherigen Betreiber haben sie einfach weiterbetrieben, damit nicht weiter auffällt, dass diese irgendetwas mit Silbersteins Verhaftung zu tun haben könnten.

Faktum aber ist: In der Zeit davor sind die Seiten „Wir für Sebastian Kurz“ und „Die Wahrheit über Sebastian Kurz“ von Tal Silberstein und seinem Team betrieben worden – und erfunden natürlich auch. Jenem Tal Silberstein, der von der SPÖ eigens für diesen Wahlkampf engagiert worden war. Jener Tal Silberstein, von dem Kanzler Christian Kern – bis es nicht mehr anders ging – behauptete, er habe nur Umfragen analysiert und daraus Empfehlungen abgeleitet.

Nein, Tal Silberstein hat der SPÖ das All-inclusive-Paket geliefert: Nicht nur Analysen, sondern ganze Kampagnenkonzepte. Und auch Dirty Campaigning. Bei Letzterem ist die Frage ebenfalls ungeklärt: Wer hat davon gewusst? Nur jener SPÖ-Mitarbeiter, der das Bindeglied zwischen Silberstein und der Partei war und nach der Verhaftung des israelischen Spindoktors auch dessen Agenden übernahm? Oder auch Mitglieder der Parteiführung?

Auch wenn Christian Kern – was wir ihm jetzt einmal glauben wollen – davon nichts gewusst hat: Hat er ernsthaft gedacht, man ordert einfach Tal Silberstein und der macht dann kein Campaigning, bei dem die Grenze zwischen Negative und Dirty fließend ist beziehungsweise sogar überschritten wird? Nach den Erfahrungen aus dem Gusenbauer-Wahlkampf 2006? Vor dem Hintergrund, dass Sebastian Kurz in allen relevanten demoskopischen Werten vor Beginn des Wahlkampfs klar vor Kern lag und man dem etwas etwas entgegenhalten musste? Diskreditierung lautete hier das Zauberwort.

Diese, das sei hier nicht vergessen, betraf aber auch Christian Kern selbst. Was zur nächsten noch offenen Frage führt: Wer betrieb die Seite „Die Wahrheit über Christian Kern“? Auch diese war von besonderer Geschmacklosigkeit. Und ging am selben Tag wie die beiden Anti-Kurz-Seiten offline.

Der befürchtete Dirty-Campaigning-Wahlkampf hat also tatsächlich stattgefunden. Etliches ist bereits aus dem Schatten hervorgetreten. Aber noch nicht alle Nebel haben sich gelichtet. Die negative Energie, die vor allem die SPÖ hier aufgewendet hat, hat sich letztlich gegen sie selbst gerichtet.

Von der SPÖ wurde in diesem Wahlkampf ein Bild offenbar, das man in Umrissen zwar kannte, aber nicht in dieser Deutlichkeit. In dieser Partei agiert(e) nahezu jeder gegen jeden: Die Silberstein- und die Anti-Silberstein-Fraktion, die Bundesgeschäftsstelle und das Kanzleramt, der Wiener Realo- und der Bobo-Flügel, die alte Faymann-Seilschaft und die neuen Kern-Einflüsterer. Hinzu kommen als neuer Machtfaktor noch die Burgenländer. Und über alldem thront der Kanzler, der davon – im nun besten Fall für ihn – nicht alles mitbekommt.

Lässigkeit allein reicht eben nicht. Wenn man so eine Partei im Schlepptau hat. Der Parteichef, der seiner Partei weit voraus war, wurde letztlich von dieser eingeholt. Einer Partei, die ideologisch und organisatorisch in der Vergangenheit gefangen ist. Im Machtdenken ebenso: Dass das Kanzleramt der SPÖ zusteht und sonst niemandem, haben die meisten Genossen verinnerlicht. Sie stellen den Kanzler ja auch schon seit 1970. Die sechs Jahre Unterbrechung unter Wolfgang Schüssel waren der Horror für die Partei. Und man sieht auch jetzt, mit welchen Mitteln sich die SPÖ verzweifelt an der Macht zu halten versucht. Es hängt ja auch vieles dran, nicht nur für die obereren Chargen. „Es geht in der Politik immer um Interessen“, sagt Christian Kern neuerdings gern. Da hat er recht.

E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

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