Leitartikel

Neues aus der roten Trutzburg

„Unser Land ist zu wertvoll, um von VerliererInnen regiert zu werden?“ Sagt wer? Richtig, Christian Kern. Vielleicht macht er dennoch den Schüssel.

Das SPÖ-Festzelt als rote Trutzburg. Und mitten drinnen Christian Kern mit seinem Gerhard-Schröder-Moment. Die Medien seien schuld, polterte der SPÖ-Chef, sie hätten diesen „Rechtsrutsch“ mitvorbereitet. Die Szene erinnerte an den Testosteron-Auftritt des vormaligen SPD-Kanzlers, der am Wahlabend des Jahres 2005 seine Wahlniederlage nicht einsehen und eingestehen wollte und im TV-Studio die Moderatoren und Angela Merkel anblaffte.

Und apropos Deutschland, Rechtsruck und Medien. Eine noch eigenwilligere Interpretation der Geschehnisse in Österreich lieferte Spiegel Online: „Die Schließung der Balkanroute mit all ihren furchtbaren Folgen für die Flüchtenden war im Wahlkampf allen Ernstes etwas, womit der künftige Kanzler Sebastian Kurz sich brüstete, anstatt sich zu schämen oder wenigstens darüber zu schweigen.“ Überhaupt sei der Rechtsstaat hier in Gefahr, Ausländerfeindlichkeit und Islamophobie würden überhandnehmen.

Vielleicht kann man, wenn die letzten Wahlkampfwogen geglättet und die Enttäuschungen verdaut sind, wieder – sine ira et studio – einen Blick auf die Realität werfen. Und diese sieht so aus: Die Wähler haben mehrheitlich den Wunsch nach Veränderung artikuliert. Die Parteien rechts der Mitte – die ÖVP, die FPÖ, ja auch die Neos – haben zugelegt. Auch der Rechteste der Linken, Peter Pilz, hat gewonnen. Das entscheidende Wahlmotiv gemäß allen Nachwahlbefragungen: das Unbehagen mit der Migration.

Die realpolitische Folge aus diesem Wahlergebnis ist, dass die FPÖ in die Regierung einziehen wird. ÖVP und SPÖ können nicht mehr miteinander – und sollen auch nicht mehr miteinander. Eine ÖVP-Minderheitsregierung wäre zwar ein interessantes Experiment, jedoch zum Scheitern verurteilt. Denn wer soll eine solche mittragen? Die SPÖ in ihrem Zorn auf den bösen Sebastian Kurz? Die FPÖ – einfach so, ohne Minister dafür zu kriegen? Denkbar wäre lediglich, dass der Bundespräsident die Parteien – auch aufgrund der Staatsräson wegen der baldigen EU-Präsidentschaft – mit Nachdruck zur Unterstützung einer Minderheitsregierung bewegt. Aussicht auf Erfolg allerdings eher gering. So groß ist die Autorität des Bundespräsidenten dann auch wieder nicht – sofern er eine solche Variante überhaupt in Erwägung zieht. Bleibt also – bei Lichte betrachtet – nur Schwarz-Blau oder Rot-Blau. Beides möglich, beides legitim.


Allerdings ist der Bundeskanzler gerade dabei, eine seiner Ankündigungen, um nicht zu sagen Wahlversprechen, situationselastisch anzupassen: bei Platz zwei in Opposition zu gehen. Im ORF-„Sommergespräch“ merkte Kern an, der SPÖ werde nur die Oppositionsrolle bleiben, wenn man nicht Erster werde. Der Nachsatz, dann käme ohnehin Schwarz-Blau, lässt zwar noch ein wenig Interpretationsspielraum. Allerdings steht bereits in Kerns Plan A: „Der zweite Platz ist der erste Verlierer. Und unser Land ist zu wertvoll, um von VerliererInnen regiert zu werden.“

Dass Rot-Blau ausgeschlossen sei, weil die beiden Parteien Welten trennen würden, wie noch im Finale des Wahlkampfs kundgetan, scheint nun ebenso vergessen. Christian Kern, der gekränkte Wahlverlierer, möchte mit ÖVP und FPÖ verhandeln und der Welt vielleicht doch noch einmal zeigen, was in ihm steckt.

Allerdings würde er dafür Michael Häupl übergehen müssen, der Rot-Blau definitiv ausschließt. Es wäre jedoch nicht das erste Mal. Auf den Machtkampf darf man gespannt sein.

Und ebenso auf die mediale Rezeption, sollte Kern Rot-Blau tatsächlich zustande bringen: Der Rechtspopulismus wäre zwar noch immer da, aber durch Kanzler Kern abgemildert. So ähnlich würde man das dann wohl lesen. Von einer Gefahr für den Rechtsstaat oder Orbánismus wäre keine Rede mehr.

Sollte ausgerechnet Christian Kern den Wolfgang Schüssel machen, wäre das eine besondere Pointe: Genau das hatte er Sebastian Kurz im Wahlkampf vorgehalten. Aber vielleicht macht Kurz ja noch den Kreisky und wagt doch eine Minderheitsregierung. So lange bleibt als realistischste Variante Schwarz-Blau.

E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2017)

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