Leitartikel

Der europäische Irrweg der Separatisten

Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien
Unabhängigkeitsbestrebungen in KatalonienAPA/AFP/LLUIS GENE
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Das hoch subventionierte „Europa der Regionen“ fordert von den politisch ermächtigten Regionalfürsten kein Verantwortungsbewusstsein ein.

Der Neoseparatismus, der in Gestalt der katalanischen Regierung eine kleine europäische Krise vom Zaun gebrochen hat, ist erstaunlich. Woher rührt in Europa, das doch gerade erst den Eurokrach mehr oder weniger überstanden hat, diese Begeisterung für fahnenschwenkenden Revolutionskitsch? Noch dazu, wenn am Exempel des Brexit von Woche zu Woche klarer zutage tritt, in welche Sackgasse der unbedachte, affektgetriebene Nationalismus führt, dieser fatale Sirenengesang vom „Endlich wieder Herr im eigenen Haus sein“?

Die Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien, auf Korsika, in Norditalien, in Flandern und anderswo veranschaulichen die Krise kollektiver politischer Ideen. Eine solche (und vielleicht die beste) ist der moderne Staat, mit Gewaltenteilung, republikanischer Demokratie, Grundrechtskatalog und verfassungsmäßigen Minderheitenrechten. Paradoxerweise erhalten die Neoseparatisten heutzutage vom linken und vom rechten Rand des weltanschaulichen Bogens begeisterten Zuspruch. Sieht die Rechte im Staat nicht die nationale Trutzburg gegen alle Zumutungen der globalisierten Welt? Wieso will sie ihn untergraben sehen? Und ist der Linken der Staat mit seinen bürokratischen, skalenökonomischen Möglichkeiten nicht Garant für Umverteilung, soziale Einebnung und, wie man früher zu sagen pflegte, Aufklärung? Warum will sie ihn gegen ein Flickwerk von Provinzgrafschaften eintauschen?

Die katalanische Episode offenbart darüber hinaus die Unfähigkeit vieler regionaler Politiker, konstruktive Antworten auf die Anliegen ihrer Bürger zu geben. Vielen Katalanen missfällt es, ihren wirtschaftlichen Wohlstand mit den ärmeren Provinzen Spaniens teilen zu müssen. Das mag man unsolidarisch finden, und es ist entlarvend, dass das katalanische Vertretungsbüro in Brüssel eine „Studie“ an die Medien verteilt, in der neben allerlei Themenverfehlungen wie Bezügen zum Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg in einem Absatz dezent vermerkt wird, dass man sich steuerlich von Madrid gemolken fühlt. Ein klügerer Politiker, als es Herr Puigdemont ist, hätte die angesichts der spanischen Immobilienkrise ohnehin angeschossene Regierung in Madrid in Verhandlungen über eine Neuausrichtung des innerstaatlichen Finanzausgleichs gezogen. So aber hat Puigdemont mit seinem unbedachten und, angesichts der Missachtung der Opposition im Parlament in Barcelona, nicht sehr demokratischen Unabhängigkeitsreferendum ein Ross aus dem Stall getrieben, das er nun sichtlich nicht zu reiten vermag.

All dies sollte in Brüssel und den Hauptstädten zu einer gründlichen Revision der Regionalpolitik führen. Vier Jahrzehnte lang hat man in Europa, als Reaktion auf den innenpolitischen Druck von Autonomieforderungen in mehreren Staaten, um Billionensummen ein „Europa der Regionen“ herbeisubventioniert. Dabei ging es nicht nur um die Förderung der Kohäsion, des wirtschaftlichen Zusammenhangs zwischen ärmeren und reicheren Regionen. Vielmehr hoffte man, durch das Unterstützen der Regionen an unkooperativen Zentralregierungen vorbei eine Art europäischer Identität „von unten“ zu schaffen. Doch mit dem Geld aus Brüssel erkaufte man sich nur ein oberflächliches, transaktionelles, materialistisches Europäertum – auf Kosten der zusehends besser verwalteten Nationalstaaten. „Die bekannten Mängel der Lokalpolitik – Nepotismus, Korruption und Manipulation – kehrten jetzt in kontinentalem Maßstab zurück“, kritisierte der Historiker Tony Judt diese Entwicklung in seiner „Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegenwart“.

Insofern eröffnet der Brexit kraft des Wegfalls von mehr als einem Zehntel der Nettozahlungen in den EU-Haushalten eine Möglichkeit, Umfang und Gestalt der Regionalpolitik zu überdenken. Die Landeshauptleute werden aufheulen. Gut so. Vielleicht animiert sie die Aussicht auf den Verlust lieb gewonnener EU-Subventionen, ihren Landesuntertanen gegenüber öfter einmal den Nutzen der EU zu erklären, statt stets nur über „die in Brüssel“ zu zetern.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2017)

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