Leitartikel

Jetzt müssen die Sozialpartner ihre Existenzberechtigung beweisen

Die Metaller haben auch nach der fünften Lohnrunde nichts zusammengebracht. DER KV-VERHANDLUNGEN DER METALLER: WIMMER/D†RTSCHER
Die Metaller haben auch nach der fünften Lohnrunde nichts zusammengebracht. DER KV-VERHANDLUNGEN DER METALLER: WIMMER/D†RTSCHER(c) APA/HERBERT NEUBAUER
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Wir leben in einer Zeit, die eine moderne Sozialpartnerschaft bitter nötig hätte. Wenn sie allerdings so weiterfuhrwerkt, dann ist ihr nicht mehr zu helfen.

Das Start-up Otto wartet nicht auf die Sozialpartnerschaft. Es wurde vorigen Sommer um fast 700 Millionen Dollar von Uber gekauft. Otto entwickelt selbstfahrende Lkw. Längst ist es möglich, dass die Brummer ohne Chauffeur auf der Autobahn fahren, wenn's in die Stadt geht, übernimmt der Fahrer in der Zentrale mit dem Joystick. Vor seinem Monitor bedient er ein Dutzend Lkw. Zukunftsmusik? Es wird kommen. Das bedeutet dann nicht nur billigere Warentransporte, sondern auch weniger Staus, weniger Unfälle und weniger Emissionen. Und ja: Kollektivvertragsverhandlungen kann man sich künftig sparen. In vielen anderen Bereichen übrigens auch.

Die Sozialpartner reden zwar viel von der Digitalisierung, aber sie meinen damit immer die anderen. Dabei sind sie es selbst, die davon am meisten betroffen sein werden. Die Gewerkschaften, die Interessenvertretungen. Sie werden einfach nicht mehr so wichtig sein. Vor allem, wenn sie so weiterfuhrwerken wie bisher. Allein schon die Inszenierung der Kollektivvertragsverhandlung erinnert an die Löwinger Bühne (keine Sorge, wer sie nicht mehr kennt, hat keine große Wissenslücke). Jahr für Jahr dieselbe Leier. Bis hin zum Paprikahendl, das am Abend serviert wird.

Nur diesmal hat selbst das Paprikahendl nicht geholfen. Die Metaller haben auch nach der fünften Lohnrunde nichts zusammengebracht. Obwohl sie Dienstagfrüh nach durchgemachter Nacht eigentlich nur noch ein Stamperl voneinander entfernt waren. Bei 2,5 Prozent Lohnerhöhung lag die Schmerzgrenze der Unternehmer, bei drei Prozent die der Gewerkschaft. Irgendwo in der Mitte hätte keiner von beiden sein Gesicht verloren. 2,8 Prozent wären ein guter Deal. In normalen Zeiten. Aber die Zeiten sind nicht mehr „normal“. Denn mittlerweile sind die Sozialpartner so ziemlich die Letzten in diesem Land, die eine rot-schwarze Regierung (früher auch Große Koalition genannt) als „normal“ betrachten.

Somit wären wir bei der Normalität 2.0 angelangt. Schwarz-türkis-blau also. Und die plant möglicherweise Dinge, die für die Gewerkschaft äußerst unangenehm sein könnten. Stichwort ÖBB. Stichwort Privatisierungen. Stichwort Sozialversicherungen. Stichwort Kammermitgliedschaft.

Das sind Stichwörter, die zwar offiziell bei den Lohnverhandlungen keine Rolle spielen sollten, aber atmosphärisch alles überschatten. Irgendwie hat man das Gefühl, die Gewerkschaft legt es darauf an, die künftige Regierung mit an den Verhandlungstisch zu zwingen. Dann könnte man quasi all die Stichwörter auch noch mitverhandeln. Und das einzige Druckmittel, das noch geblieben ist, sind Gewerkschafter, die zum Streik aufrufen.

Wäre ja nicht das erste Mal. Vielleicht erinnern sich noch einige an den November 2003. Damals streikten die Eisenbahner drei Tage lang. Alles stand still. War für österreichische Verhältnisse eine Riesensache. Tatsächlich lenkte die damalige schwarz-blaue Regierung ein. Wir werden also möglicherweise Zeugen einer Neuinszenierung, von Premiere kann keine Rede sein.

Und was hat das Ganze mit der Sozialpartnerschaft zu tun? Leider nur noch wenig. Diese österreichische Institution hatte ihre Blüte nämlich nicht in „normalen“ Zeiten der Großen Koalition, sondern ausgerechnet in der Ära Kreisky. Als die politische Macht klar verteilt war, sprang sie als ausgleichendes Korrektiv ein. Die Sozialpartnerschaft hatte ihre große Zeit, als die Automatisierung der Produktion Hunderttausende Arbeitsplätze bedrohte. Im Laufe der Großen Koalitionen hingegen degenerierte sie zum verlängerten Arm der Regierung. Ja, am Ende war gar nicht mehr klar, wer denn von wem der verlängerte Arm ist.

Die Große Koalition ist vorerst Geschichte. Anstelle der Automatisierung ist es die Digitalisierung, die ganze Branchen verändern, vernichten und gebären wird. Ideale Zeiten für Sozialpartner – eigentlich. Wenn sie das nicht selbst erkennen, dann ist ihnen nicht mehr zu helfen. Dann haben sie ihre Existenzberechtigung endgültig verloren.

E-Mails an: gerhard.hofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2017)

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