Leitartikel

Get Up, Stand Up, Mrs. Merkel

Deutschlands instabile Jamaika-Koalition der Unwilligen wirkt schon vor dem Start ermattet. Außer der Angst vor Neuwahlen hält CDU, CSU, FDP und Grüne wenig bis gar nichts zusammen.

Leicht geprickelt hat bisher höchstens die eine oder andere Reggae- und Karibikmetapher. Sonst ist von Vorfreude auf die Jamaika-Koalition in Deutschland nichts zu bemerken, am wenigsten unter den schwarz-gelb-grünen Verhandlern. Genau genommen „sondieren“ CDU, CSU, FDP und Grüne erst. Das allerdings bereits seit einem Monat, über eine erste Frist hinaus. Und knapp vor der neuen Deadline, die heute, Sonntag, um 18Uhr ausläuft, ist noch immer unklar, wie es zu dieser Koalition kommen soll. Eine gemeinsame Vision schimmert nicht einmal schemenhaft durch.

Die vier Parteien, die Deutschland regieren sollen, ziehen in verschiedene Richtungen. Kompromisse sind da nur schwer zu finden, vor allem in der Flüchtlingsfrage, der Energiepolitik und beim Abbau des Solidarzuschlags für ostdeutsche Bundesländer. FDP und Grüne verstehen sich ohnedies als Antipoden. Doch auch CSU und CDU marschieren oft getrennt. Alle haben ihre eigenen Befindlichkeiten und Zwänge im Gepäck bei dieser mühseligen Jamaika-Reise.

An der Spitze der CSU verhandelt ein wankender Riese. Die Tage von Horst Seehofer als bayrischem Ministerpräsidenten und Parteichef sind seit dem miserablen Ergebnis bei der Bundestagswahl gezählt. Wird sich die neue Führung in Bayern an die Verhandlungsergebnisse in Berlin gebunden fühlen? Nicht wenige in der CSU sehen in Jamaika eine schwere Hypothek vor den Landtagswahlen im Herbst. Die FDP wiederum ist nicht überzeugt, weil sie nur zu gut in Erinnerung hat, wo sie nach ihrer letzten Koalition mit CDU-Kanzlerin Merkel gelandet ist: in der außerparlamentarischen Opposition.

Lustlos. Die Grünen wirken am ehesten erpicht, endlich zu regieren. Dementsprechend nachgiebig zeigen sie sich. Doch ihnen sitzt die Basis im Nacken, der sie bald ein verdaubares Zwischenergebnis vorlegen müssen. Einen merkwürdig führungsschwachen Eindruck hat bisher Merkel, die Meisterin der Unbestimmtheit, hinterlassen. Doch ihre Stunde kommt womöglich erst: als große Vermittlerin fünf Minuten vor zwölf. Für sich hat sie hier offenbar die Rolle der einzig Erwachsenen im Raum vorgesehen, die die Kleinen zu ihrer Rechten und Linken eine Zeit lang streiten lässt, dann aber das Machtwort der erfahrenen Weltpolitikerin spricht. Die Frage wird sein, wie lang sich die Nebendarsteller diese Regie gefallen lassen.

Momentan halten die Jamaika-Koalition drei Faktoren jenseits aller Inhalte zusammen: die Verlockung der Macht, die Angst vor Neuwahlen und die Alternativlosigkeit. Solange sich die ausgelaugte SPD in Abkehr ihres traditionell staatstragenden Verantwortungsbewusstseins weigert, in die Regierung zu gehen, bleibt der Jamaika-Viererbob die einzig realistische Option. Mit der Alternative für Deutschland will niemand koalieren. Und Neuwahlen bergen für alle das Risiko, dass am Ende ähnliche Mehrheitsverhältnisse herauskommen könnten. Das mag letztlich der Zement für ein Jamaika-Bündnis sein. Doch ein belastbares Fundament sieht anders aus. Die mächtigste Wirtschaftsnation Europas ist zu einer instabilen Koalition der Unwilligen verdammt.

christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2017)

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