Riesenschlamassel im "Dazwischenland"

Viktor Janukowitsch tritt als neuer Präsident der Ukraine an. Hat er den Mut für die unvermeidliche Rosskur?

Alle blicken in den Süden, nach Griechenland und Spanien, wo sich gerade mit voller Wucht die bösen Folgen einer jahrelangen verfehlten Wirtschafts- und Finanzpolitik zeigen. Doch im Osten Europas liegt ein großes Land, das wirtschaftlich noch viel erbärmlicher dasteht, das im Gegensatz zu Griechenland und Spanien aber keine EU-Partner hat, die mithelfen, der Krise Herr zu werden: die Ukraine. Dort geht es auch nicht nur um eine Wirtschafts- und Budgetmisere, dort geht auch noch um eine politische und eine soziale Krise.

In diesem gigantischen Schlamassel wird am heutigen Donnerstag in Kiew ein neuer Präsident vereidigt. Viktor Janukowitsch ist dabei ein typischer Vertreter der alten politischen Elite des Landes – einer Elite, die die ganze Misere verursacht hat. Jetzt tritt er an, um dem Land da wieder herauszuhelfen. Nur, kann er das überhaupt? Und will er sein Land überhaupt einer Rosskur unterziehen?

Eine solche Rosskur ist unvermeidlich, soll die Ukraine nicht völlig vor die Hunde gehen. Die Wirtschaftsleistung ist 2009 um rund 14 Prozent zurückgegangen, das Budgetdefizit beträgt zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts – und weit und breit kein eigenes Geld, um die Schulden abzubauen. Die Arbeitslosigkeit lag Ende 2009 bei 9,2 Prozent, die Teuerungsrate bei 12,3 Prozent. Hätte der Internationale Währungsfonds der Ukraine nicht mit Hilfskrediten in Milliardenhöhe unter die Arme gegriffen, wäre Kiew praktisch zahlungsunfähig.

Der bisherige Präsident Viktor Juschtschenko und die bei der Präsidentenwahl unterlegene Ministerpräsidentin Julia Timoschenko haben in den vergangenen Jahren kläglich dabei versagt, die dringend notwendigen Strukturreformen in Angriff zu nehmen – und während des Wahlkampfs hat erst recht niemand darüber geredet: radikale Einschnitte bei den öffentlichen Ausgaben, Streichung von Subventionen, Anhebung der Energiepreise, eine Pensionsreform – alles Dinge, die die leidgeprüften Ukrainer zusätzlich treffen würden.

Viktor Janukowitsch könnte zeigen, dass er doch kein typischer ukrainischer Apparatschik ist, indem er es wagt, diese heißen Eisen tatsächlich anzupacken. Tut er es, dann hätte er vonseiten des Währungsfonds, der Weltbank und der EU jede nur mögliche Unterstützung verdient. Aber die größten Hindernisse für eine radikale Reformpolitik und einen eisernen Sparkurs türmen sich ohnedies in der Ukraine selbst auf: sei es durch das miserabel funktionierende, weil schlecht strukturierte politische System des Landes, sei es durch den Dauerstreit der politischen Lager, sei es durch die höchst ungesunde Verbindung von Oligarchen und Politik.

Letztere wird Janukowitsch kaum mit einem Schlag durchtrennen wollen, gilt er doch selbst als Marionette des Oberoligarchen der Ostukraine, Rinat Achmetow. Für Radikalreformen wiederum braucht er die solide Rückendeckung des Parlaments und einen Regierungschef, der kooperiert, nicht obstruiert. Im Moment hat Janukowitsch weder das eine noch das andere. Und die hundsmiserable Verliererin Timoschenko wird alles daransetzen, um auch dem neuen Präsidenten das Leben so schwer wie möglich zu machen.

Freilich, weiterwursteln wie bisher kann sich die Ukraine nicht mehr leisten. Und auch Europa kann es sich nicht leisten, dass der ukrainische Karren immer tiefer im Dreck versinkt. Wie sehr die dortige Krise auch nach außen ausstrahlt, bekommt gerade die Raiffeisen-Gruppe zu spüren, die sich stark im Bankenwesen der Ukraine engagiert hat. Ein Teil der jetzigen Raiffeisen-Probleme hat wohl direkt mit diesem Engagement zu tun. Umgekehrt wäre eine wirtschaftlich stabile Ukraine genauso von Bedeutung für eine stabile Raiffeisen-Gruppe.

Es steht also viel auf dem Spiel, für die Ukraine, für Europa – und es ist ganz und gar nicht egal, was ein paar hundert Kilometer östlich von Wien gut oder schiefläuft. Vielleicht sollten die Freunde und Nachbarn der Ukraine auch endlich damit aufhören, das Land vor allem als Zone anzusehen, die man unter den eigenen Einfluss bringen muss – das gilt natürlich zuallererst für Russland, aber auch für einige missionarisch orientierte EU-Staaten. Die überwiegende Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung, auch die Elite des Landes, tendiert eindeutig Richtung Westen, Richtung Europa. Genau deshalb unternimmt Janukowitsch seine erste Auslandsreise nach Brüssel. Aufgrund ihrer Lage als „Dazwischenland“ aber kann die Ukraine gar nicht anders, als eine gute Nachbarschaft mit Russland zu suchen.


burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2010)

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