Alexander Van der Bellen, der letzte Oppositionelle

Der Bundespräsident macht derzeit den Job von SPÖ oder Grünen – und polarisiert damit. Darf sich ein Staatsoberhaupt keine eigene Meinung leisten?

Angesichts dessen, dass man ihm immer nachgesagt hat, er würde zu einem eher gemütlichen Lebens- und Arbeitsstil neigen, ist Bundespräsident Alexander Van der Bellen derzeit ziemlich umtriebig. Nach seiner Kritik am „unflätigen“ FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky und seiner Eröffnungsrede bei den Bregenzer Festspielen, die teilweise ein Plädoyer für die Pressefreiheit war, sprach sich Van der Bellen am Donnerstag für die Errichtung des größten Schutzgebiets der Welt im antarktischen Ozean aus. In einer Videobotschaft appellierte er an die Mitgliedstaaten der Antarktis-Kommission, im Herbst für das von der EU vorgeschlagene Meeresschutzgebiet zu stimmen.

„Wir brauchen gesunde Meere. Sie helfen uns, die Artenvielfalt zu erhalten und uns vor dem Klimawandel zu schützen“, referierte Van der Bellen. Und man fragt sich, ob er vielleicht der letzte Grüne Österreichs ist. Nein, ist er natürlich nicht. Aber es sieht ganz danach aus, als wäre der Bundespräsident im Moment der einzige Oppositionelle des Landes. Die eigentliche Opposition ist nämlich weitgehend von der Bildfläche verschwunden.

Als Erklärung dafür reichen eigentlich die Sommerferien nicht aus. Die SPÖ? Hat die Trennung von der Macht noch immer nicht überwunden und sucht (mitunter zu verkrampft) nach einem Thema. Und hat sie dann endlich eines wie den Zwölf-Stunden-Tag gefunden, unterlaufen ihr peinliche Fehler, die alles wieder zunichtemachen: Wegen der niederösterreichischen Richtlinien zum Schächten forderte Christian Kern („Erinnert an dunkelstes Kapitel unserer Geschichte“) am Dienstag den Rücktritt von FPÖ-Landesrat Gottfried Waldhäusl – nicht wissend offenbar, dass dessen Vorgänger, Maurice Androsch, ein Genosse, den Anstoß dazu gegeben hatte.

Die Neos befinden sich im Interregnum. Beate Meinl-Reisinger, die neue Parteichefin, sucht noch nach einem Alleinstellungsmerkmal, das sich Vorgänger Matthias Strolz als durchaus authentischer Wanderprediger auf Flügelhebermission erarbeitet hat. Die Liste Pilz hat am Donnerstag Martha Bißmann aus dem Parlamentsklub ausgeschlossen. Und mehr gibt es dazu eigentlich nicht mehr zu sagen (fehlt nur noch, dass eines Tages Peter Pilz aus der Liste Pilz ausgeschlossen wird). Und die Grünen sind seit der verlorenen Nationalratswahl – ja wo eigentlich?

Es war also niemand außer Van der Bellen da, der ÖVP und FPÖ darauf hätte hinweisen können, dass ein EU-Vorsitzland nicht den besten Eindruck hinterlässt, wenn prominente Vertreter einer Regierungspartei dem EU-Kommissionspräsidenten ein Alkoholproblem unterstellen und der Kanzler dazu schweigt.

Dass der Bundespräsident zuweilen eine gewisse Parteilichkeit an den Tag legt und in alte (grüne) Anti-FPÖ-Reflexe kippt, ist freilich auch Teil der Wahrheit. Die Regierung hat nicht ganz unrecht, wenn sie die Frage aufwirft, warum Van der Bellen mit Vorliebe Freiheitliche öffentlich rügt, gleichzeitig aber schweigt, wenn bei Kritik an ihr weit über das Ziel hinausgeschossen wird – mit gewerkschaftlicher Regierungsstürzrhetorik und Pflastersteinaktionismus.

Allerdings ist es noch nicht so lang her, dass Van der Bellen verdächtigt wurde, unter einer Decke mit Sebastian Kurz zu stecken. Etwa, als sich beide in einer eilig einberufenen Pressekonferenz an einem Samstagnachmittag im Juni bemüßigt sahen, Aufklärung rund um vermutete Lauschangriffe deutscher Geheimdienste in Österreich einzufordern. Angesichts des dürftigen Neuigkeitswerts wurde dem Kanzler unterstellt, damit bloß von der Aufregung um das neue Arbeitszeitgesetz ablenken zu wollen. Und Van der Bellen, hieß es, unterstütze ihn dabei auch noch. Was beide bestreiten.

Bei aller Notwendigkeit zur Überparteilichkeit wird ein Bundespräsident seine Weltanschauung nie ganz aus dem Amt heraushalten können. Die Frage ist, ob wir das denn wollen. Bei vielen Van-der-Bellen-Kritikern wird man den Eindruck nicht los, dass sie sich zwar klare Ansagen vom Staatsoberhaupt wünschen. Aber nur dann, wenn dabei ihre eigene Meinung zum Ausdruck kommt.

Offenbar kann es Alexander Van der Bellen keinem recht machen. Und vielleicht ist das der Beweis dafür, dass er im Moment vieles richtig macht.

E-Mails an: thomas.prior@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2018)

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