Ein Tabubruch für Griechenland

Erstmals regnet es in die Schönwetterarchitektur des Euro richtig hinein. Ein gemeinsamer Schirm wird notwendig.

Die Europäische Union ist zwar aus einer Krise entstanden, doch ist sie nicht für Krisen gebaut. Das beweisen einmal mehr die aktuellen Wirtschafts- und Finanzturbulenzen: Da wird hilflos um Regulierungen für die Finanzmärkte gerungen, während sich schon die nächste Spekulationsblase bildet. Da wird hektisch eine legale Möglichkeit einer Hilfe für Griechenland diskutiert, während die Finanzmärkte mit Portugal schon das nächste Euroland in den Würgegriff nehmen.

Die EU und erst recht ihr Euro sind Produkte einer Schönwetterphase, in der ein Glaube an ständiges Wachstum und Stabilität die gemeinsame Politik geprägt hat. Doch jetzt regnet es überall hinein. Auf schützende gemeinsame Dächer ist verzichtet worden. Wenn der heutige EU-Gipfel in Brüssel nicht mehr umhinkommt, ein Hilfspaket für Athen zu schnüren, dann ist das auch ein Tabubruch. Denn ein solcher Beschluss legt erstmals offen, dass die europäische Integration, die gemeinsamen Verträge, auf tönernen Füßen gebaut ist.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel kann sich dieser Tage offensichtlich am schwersten damit abfinden, dass Europa mehr ist als nur ein florierender Binnenmarkt. Die EU hat gegenseitige Abhängigkeiten geschaffen, die leider in Zeiten der Krise auch schlagend werden.

Merkels Zurückhaltung ist zwar verständlich. Eine gemeinsame Stützungsmaßnahme für Griechenland löst ja noch nicht das Grundproblem. Im schlechtesten Fall könnte diese Hilfsaktion sogar zum Freibrief für schlecht verwaltete Staaten werden. Doch rechtfertigt dieses Risiko, die gemeinsame Währung – mit großer Wahrscheinlichkeit – schwer zu beschädigen?

Bei dieser Entscheidung geht es nicht nur um Griechenland, sondern um die nationale Souveränität der Mitgliedstaaten. Auch Frau Merkel ist bewusst, dass eine solche Hilfe einen Umbau der gesamten EU-Architektur erforderlich macht. Denn wird einmal ein schützender Finanzschirm aufgestellt, so müssen auch Instrumente geschaffen werden, mit denen in die Budgetpolitik einzelner Euroländer eingegriffen werden kann. Sonst würde nämlich jede dieser Hilfsmaßnahmen zum Fass ohne Boden.

Wie fehlerhaft die Konstruktion der Währungsunion ist, beweist die sogenannte No-Bail-out-Klausel im EU-Vertrag, die verhindern sollte, dass andere Länder für die Schulden eines Partnerstaates geradestehen. Sie ist aus dem naiven Glauben entstanden, es reiche aus, einen Stabilitätspakt zu schmieden, der alle Euroländer zu einer braven Budgetpolitik verpflichtet. Ohne wirkliche Sanktionsmöglichkeiten und Eingriffsrechte war aber letztlich klar, dass niemand „brav“ bleiben würde.

Das Problem hat zwei Dimensionen. Eine aktuelle: Es ist notwendig geworden, Griechenland mit Krediten oder Garantien zu versorgen, um Zinsaufschläge für dieses Land und einen Schaden für den Euro zu verhindern. Und eine strukturelle Dimension: Die Europäische Union muss umgebaut werden. Will sich die EU künftig selbst helfen, benötigt sie ähnliche Möglichkeiten wie der Internationale Währungsfonds.

Sie braucht eine gefüllte Kriegskasse und muss in die Lage versetzt werden, ein Mitgliedsland im Notfall an die Kandare zu nehmen. Sie benötigt eine engere wirtschaftspolitische Koordination, um in Krisen nicht gegeneinander zu agieren. Und sie braucht glaubhafte Sanktionsmöglichkeiten, die nicht mehr umgehend revidiert werden, sobald das erste größere Mitgliedsland in Turbulenzen gerät.

Das alles wird die EU freilich für den einzelnen Bürger und für einige nationale Politiker nicht gerade attraktiver machen.

Aber was passiert, wenn dieser Weg nicht eingeschlagen wird, wenn nun Griechenland mangels gemeinsamen Willens im Regen stehen bleibt? Die Zinsen für das marode Land werden steigen – und für die nächsten Euroländer in Not ebenso. Die Währung verliert an Stabilität. In der Folge bricht das gemeinsame Wachstum erneut ein. Wird Griechenland zahlungsunfähig, so zieht es zudem einige große europäische Banken mit in den Abgrund.

Das reinigende Gewitter, das sich viele durch eine verweigerte Hilfe an Athen erhoffen, ist eine Illusion. Denn diese Vorstellung negiert das Faktum, dass eine Wirtschafts- und Währungsunion die teilnehmenden Volkswirtschaften eng aneinandergebunden hat. Schlägt der Blitz in Griechenland ein, erschüttert das sofort alle anderen Teile dieser äußerst sensiblen Maschinerie.

Stützungsmaßnahme für den Euro Seite 1
Deutsche Vorbehalte Seite 2

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.