Europa muss Verantwortung für exportierte Jihadisten übernehmen

Großbritannien hat nun einer 19-jährigen IS-Angehörigen die Staatsbürgerschaft aberkannt.
Großbritannien hat nun einer 19-jährigen IS-Angehörigen die Staatsbürgerschaft aberkannt. APA/AFP/POOL/LAURA LEAN
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Die EU-Länder sollten ihre Staatsbürger, die an der Terrorherrschaft des IS beteiligt waren, aus Nordsyrien zurückholen und vor Gericht stellen.

Es war eine im ersten Moment seltsam anmutende Frage, die mir in Nordsyrien und in Iraks Kurdenregion immer wieder gestellt wurde: Was ist los bei euch in Europa? Warum kommen von euch so viele Verrückte zu uns, die hier töten, Frauen missbrauchen und sich in die Luft sprengen? Seltsam deshalb, weil sie eine gewohnte Denkposition auf den Kopf stellte: die, dass Jihadismus nur ein Problem des Nahen Ostens sei.

De facto ist Jihadismus auch ein europäisches Problem, das nach Syrien und in den Irak exportiert worden ist – nämlich in Gestalt mehrerer Tausend Männer und Frauen aus Europa, die sich dem Islamischen Staat (IS) angeschlossen haben. Das waren nicht nur Personen, deren Eltern oder Großeltern aus dem arabischen Raum oder etwa Tschetschenien stammen. Es waren auch junge Männer ohne sogenannten Migrationshintergrund, wie der Österreicher Oliver N., der nach Wien zurückkehrte und zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde. Oder die deutschen Zwillinge Kevin und Mark K., die der IS für ihre Selbstmordattentate im Irak rühmte.

Mittlerweile ist das vom Islamischen Staat ausgerufene „Kalifat“ zerschlagen. Die letzte Basis der Jihadisten wird in diesem Moment in Syrien eingenommen. Damit geraten die letzten überlebenden Ausländer, die sich dem IS angeschlossen haben, in Gefangenschaft. In Europa sorgt das für Nervosität und eine immer intensivere Diskussion der Frage: Was soll mit diesen Gefangenen geschehen?

Für Nordsyriens kurdische und arabische Kräfte ist die Antwort klar: Der Spitzenpolitiker der syrischen Kurden, Salih Muslim, forderte schon im Jänner in einem „Presse“-Interview, dass die IS-Kämpfer von ihren Heimatländern zurückgenommen und vor Gericht gestellt werden. Syriens Kurden halten mehr als 1000ausländische IS-Mitglieder fest: Männer, die gekämpft haben, aber auch ins „Kalifat“ gezogene Frauen und deren Kinder. Das Bild, diese Frauen seien „nur“ gleichsam dazu verführt worden, Jihadisten zu heiraten, stimmt nur zum Teil. Viele von ihnen spielten in der Terrorherrschaft des IS durchaus eine wichtige Rolle.

In Europa hat man wenig Freude mit der Vorstellung, IS-Anhänger zurückzunehmen. Zu groß ist die Sorge, potenzielle Attentäter ins Land zu holen. Großbritannien hat nun einer 19-jährigen IS-Angehörigen die Staatsbürgerschaft aberkannt. Auch wenn das aus britischen Sicherheitsinteressen nachvollziehbar erscheint, so ist es doch ein Davonstehlen aus der Verantwortung. Denn für die Menschen in Nordsyrien sind diese Personen nicht weniger gefährlich.

Die Bewachung der Jihadisten bindet Ressourcen – gerade jetzt, da sich Syriens Kurden auf eine mögliche türkische Invasion vorbereiten. Vorschläge der Europäer, zuerst nur IS-Frauen und Kinder zu übernehmen, betrachten die Kurden skeptisch. Sie fürchten, dann auf den schweren Fällen sitzen zu bleiben.

Selbst US-Präsident Donald Trump hat sich eingeschaltet und verlangt, dass die EU-Länder die Verantwortung für ihre Bürger übernehmen. Mal sehen, ob das auch für die USA selbst gilt. Aber recht hat Trump diesmal: Die Europäer müssen eine Lösung finden und das Problem nicht einfach nach Nordsyrien auslagern. Leicht wird das freilich nicht.

Auch die Idee, Prozesse in Syrien abzuhalten, ist nicht einfach umzusetzen. Wer ist für die Verfahren verantwortlich? Wo verbüßen Verurteilte ihre Strafe? Die ausländischen IS-Mitglieder befinden sich nicht in den Händen der offiziellen syrischen Sicherheitskräfte, die gefangen genommene Jihadisten ohnehin oft exekutieren. Sie werden von den Kurden festgehalten. Die Selbstverwaltung, die diese in Nordsyrien eingerichtet haben, wird aber von den EU-Staaten diplomatisch nicht anerkannt.

Für die EU-Länder führt kaum ein Weg daran vorbei, Staatsbürger zurückzuholen und vor Gericht zu stellen. Das könnte auch bei der Aufarbeitung der Frage helfen, warum so viele aus Europa in den Nahen Osten gezogen sind, um dort die bizarre IS-Ideologie grausame Realität werden zu lassen. Diese IS-Anhänger haben sich in europäischen Gesellschaften radikalisiert. Damit ist das auch ein Problem für Europa, vor dem es die Augen nicht verschließen kann.

E-Mails an:wieland.schneider@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2019)

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