Ein aufregender Papst

Benedikts XVI. Kirche steht im Generalverdacht der Falschheit und des Anachronismus. Kein leichter Job.

Seit fünf Jahren ist Joseph Ratzinger Papst – ein Anlass, um Bilanz zu ziehen. Aber was ist die Richtschnur? Kämpferische Atheisten wie Richard Dawkins werden ihm sein Festhalten am gemeingefährlichen Glauben vorwerfen. Die römische Stadtverwaltung wird ihm zugutehalten, dass so viele Pilger kommen wie nie zuvor. Die moderne Gesellschaft nimmt ihm übel, dass er ihrer Lebensweise hartnäckig seinen Sanktus vorenthält, der konservative Katholik dankt ihm dafür, dass er nichts verwässert hat. In manchen Weltgegenden hat die Zahl der Priester und Gläubigen zugenommen, in manchen ab – ob das nun gut oder schlecht ist, und wie viel der Papst damit zu tun hat, ist dem Betrachter überlassen.

Was die Erfolgskategorie „Beliebtheitswerte“ betrifft, so hat der Papst zwar hierzulande zuletzt an Zustimmung verloren, steht aber immer noch dort, wo auch Johannes Paul II. während weiter Strecken seines Pontifikats war. Dieser hat ja erst ab 2003 als Todkranker breite Zuneigung in Europa und Nordamerika erworben. (Anderswo war und ist die Popularitätskrise des Papsttums ohnehin nicht so ausgeprägt.)

Und dass der Papst sein Jubiläum im Ausklang der Missbrauchsaffären feiern muss, wirkt vielleicht ungerecht, ist aber ziemlich typisch: Da gibt es einen atemlosen Journalismus, der nicht besseres Verstehen, sondern „Aufreger“ produzieren möchte und auf jeden Fauxpas lauert – und einen Papst und seine Umgebung, die bis heute keinen rechten Umgang damit gefunden haben. Da gibt es einen Papst, der endlich erste Eingriffe in die Zentralverwaltung der Kirche gesetzt hat und auch in den Missbrauchsfällen der Vertuschungskultur weit mehr entgegengetreten ist als sein Vorgänger. Aber diese Fortschritte sind klein und langsam: Schlendrian, Koordinationsmängel, das Fehlen einer Abteilung für Krisenkommunikation, anhaltende Intransparenz der Finanzgebarung und der Disziplinargerichtsbarkeit existieren weiterhin – und verheißen noch viele saftige Enthüllungsgeschichten.

Aber die Metageschichte in den für den Katholizismus schwierig gewordenen Ländern Europas geht über die Frage, wie effizient die Kurie arbeitet, weit hinaus: Es ist die große Geschichte der Entflechtung von Staat und Gesellschaft einerseits und der über mehr als ein Jahrtausend bestimmenden Kirche andererseits. Man könnte auch sagen: eines Rück- und Umbaus der Kirche auf ein Maß, das dem tatsächlichen katholischen Glauben der Menschen noch entspricht. Dieser Prozess ist bei Weitem noch nicht abgeschlossen. Und er ist für die Kirche doppelt schwierig zu bewältigen: Denn zu einer Krise der „Unternehmenskultur“ kommt eine fundamentale Krise des Glaubens in einer am Diesseits orientierten Welt, und beide Krisen vertiefen einander.

In dieser Abwärtsspirale steht der Papst einer Kirche vor, die als Institution vielfach verlogen und heuchlerisch wahrgenommen wird, deren Lehre nicht mehr auf das nötige Vorverständnis trifft und deren organisatorische Straffheit viel geringer ist, als vielfach angenommen. Kein leichter Job. Drei Strategien bieten sich da an: erstens eine Frontbegradigung in Lehre und Praxis, die das wegnimmt, worin die katholische Kirche heute anachronistisch und abstoßend wirkt. Dieser Weg, etwa die Aufhebung des Zölibats, die Änderung der Sittenlehre in sexuellen Fragen oder ein Leisetreten bei Abtreibung und Homo-Ehe, kommt für Benedikt nicht infrage, der – ungleich modernen Politikern und auch darin anachronistisch katholisch – ideologische Kernpunkte nicht aus pragmatischen Gründen fallen lassen will und auch zu einer theologischen Revision dieser Punkte keinen Anlass sieht.

Benedikt setzt also auf die zweite Strategie: back to basics. Eine Konzentration auf die Grundbotschaften des Glaubens: Liebe und Hoffnung. Er versucht, der Welt eine Religion wieder zu erklären, die sie verlernt hat. Diese Strategie kann aber nur aufgehen, wenn die Fernstehenden mit Wohlwollen zuhören. Was aber, wenn das schon bei den Nahestehenden kaum mehr der Fall ist?

Dass dem Wort kaum noch gefolgt wird, hat schon Johannes Paul II. erkannt und auf die dritte mögliche Strategie, die Kraft der großen Zeichen, gesetzt. Doch stark gewirkt hat letzten Endes auch nur das Zeichen seiner Lebenskraft im Sterben, und auch er hat den Trend bestenfalls gebremst. Vielleicht ist mehr äußere Wirkung aber auch gar nicht drin, und das eigentliche Ergebnis liegt noch nicht sichtbar in einer beginnenden spirituellen inneren Erneuerung?


Insgesamt ist es also noch viel zu früh, den Schlusssatz zum Kirchengeschichtskapitel „Benedikt XVI.“ zu schreiben. Noch dazu, da es manchmal scheint, dass der Einzige, der beim Reizthema „Papst“ noch gelassen bleibt, der Papst selbst ist.

Benedikt, der Pannenpapst Seiten 1, 2

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2010)

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