Krone, Schöpfung, Evolution

Der Kardinalerzbischof von Wien und die Staatsspitzen verabschiedeten sich am Samstag von Hans Dichand. Es zeigt sich, dass die Überlebenden das Problem sind, nicht der Tote.

Christoph Schönborn und die Medien, das ist eine ganz eigene Geschichte. Es ist nicht leicht, ein Interview mit ihm zu bekommen, denn er hat wenig Zeit. Sowohl für die „Kronen Zeitung“ als auch für „Heute“ schreibt der Erzbischof von Wien Kolumnen, und der Tag hat eben auch für einen Kardinal nur 24 Stunden.

Nach dem Tod seines Arbeitgebers Hans Dichand hat Schönborn, der den Ruf eines theologischen Intellektuellen genießt, etliche Journalistenkollegen vor den Kopf gestoßen, indem er ostentativ die positive Rolle der „Kronen Zeitung“ als Hort der medialen Frömmigkeit würdigte. Dass er in jener Zeitung schreibt, die einen Teil ihres Gewinns als größte Vermittlungsplattform zwischen Prostituierten und ihren Kunden macht, stört den Kardinal seit jeher deutlich weniger als die höfliche Kritik, die er in manchen Medien für seine Thesen zum „Intelligent Design“ erfährt.

Vielleicht ist es ja tatsächlich die Schöpfungstheologie, die den Kardinal und die „Krone“ so eng aneinanderbindet. Für Schönborn ist der Homo sapiens nicht der vorläufige Endpunkt eines ohne göttliches Zutun ablaufenden evolutionären Prozesses, sondern die Krone der Schöpfung. Der Homo austriacushingegen entpuppt sich, und zwar ganz ohne intelligentes Design, immer deutlicher als Schöpfung der „Krone“.

Dieser Homo austriacusfand sich am Samstagnachmittag in großer Zahl im Stephansdom ein, um mit einem Gottesdienst Abschied von Hans Dichand zu nehmen. Besonders gut vertreten war der Phänotyp des Politikers, die markanteste Ausprägung des Homo austriacus:anpassungsfähig, mut-asketisch, wahrhaftigkeitsresistent. Hans Dichand hat ihn mit Macht erschaffen, durch Zuneigung großgezogen und durch Liebesentzug auf den rechten Weg zurückgeholt. Ein Vater, nicht nur seiner Redaktion.

Dass sie alle zu diesem Gottesdienst zusammengekommen sind, um sich in einem religiösen Rahmen von dem Mann zu verabschieden, der sie zu dem gemacht hat, was sie sind, soll man ihnen nicht zum Vorwurf machen, im Gegenteil: Es ist eine Form von Anstand, die man respektieren muss.

Der Anstand und das Bemühen um ein angemessenes Andenken gebieten es auch, Hans Dichand von der Alleinverantwortung für den deplorablen Zustand der politischen Kultur in Österreich freizusprechen: Nicht der Tote ist das Problem, es sind die Überlebenden. Jeder Journalist und Verleger würde wohl tun, was Hans Dichand getan hat: die Beeinflussung des politischen Geschehens gewinnbringend mit der Steuerung der öffentlichen Meinung zu verbinden. Kaum jemand konnte es so wie er. Weder berechtigte Kritik an den Methoden noch billiger Neid auf den Erfolg können daran etwas ändern.

Dennoch wäre es nun in Österreich an der Zeit für so etwas wie die Evolution einer reifen Öffentlichkeit. Vielleicht kann der Wiener Kardinal zumindest in diesem Bereich von seinem Schöpfungsglauben lassen. Es wäre ein frommes Werk.

michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2010)

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