Toleranz für eine unverstandene Religion

Die Diskussion um den Bau einer Moschee in der Nähe des World Trade Center könnte eine Chance sein.

Die Werbung prangt bald auf jedem öffentlichen Bus der Stadt New York: „Eine Megamoschee – warum dort?“, steht über dem Bild eines Flugzeuges, das auf das brennende World Trade Center zufliegt. Erst ein Gericht machte die Provokation möglich, die Verkehrsbetriebe hatten die Werbung zuvor abgelehnt. Das Urteil, jubelte der Anwalt der Bürgerinitiative, sei „ein Sieg für die Verfassung. Es wäre problematisch, könnte die Regierung entscheiden, welche Aussagen angemessen sind.“ Die Ironie dürfte ihm entgehen, nämlich, dass er mit dem Hinweis auf ein Grundrecht – die Meinungsfreiheit – ein anderes einschränken will, das auf freie Religionsausübung.

Die Diskussion in den USA über den Bau einer Moschee weniger als 200 Meter von dem Platz entfernt, an dem am 11.September 2001 Terroristen aus der arabischen Welt das World Trade Center zum Einsturz gebracht haben, verdient aus mehreren Gründen Aufmerksamkeit: einerseits, weil die Vereinigten Staaten bisher ein Hort der Toleranz und der Offenheit waren. Diese Debatte passt nicht zu dem Land. Andererseits, weil es US-Präsident Barack Obama in drei Monaten die Wahl kosten könnte. Nicht, weil er für den Bau eintritt, sondern, weil er es nicht bestimmt genug tut.

Natürlich greifen beide Punkte ineinander. Es gäbe keine US-weite Diskussion, fänden nicht Kongresswahlen statt und würden die Republikaner nicht darauf hoffen, mit einer Emotionalisierung des 11.September – wieder einmal – zu reüssieren.

Dabei hilft ihnen, dass Obama in der Debatte bisher nur Fehler gemacht hat. Zuerst den, sich überhaupt zum Bau der Moschee zu äußern. Die Frage ist längst entschieden: Es gibt eine Baubewilligung, und die Aufregung war eine, die von einer Bürgerinitiative, dem konservativen TV-Sender Fox und einigen Politikern geschürt wurde. Erst Obama hob die Auseinandersetzung auf ein weltweites Niveau.

Man könnte dem US-Präsidenten nun Anerkennung dafür zollen, klare Worte gefunden zu haben, indem er das Recht jedes Menschen, seine Religion auszuüben, wo auch immer er will, betont hat. Doch bevor man Obama für seinen politischen Mut applaudieren konnte, zog er auch schon wieder zurück: Seine Aussagen, meinte er am Sonntag, seien keinesfalls als Unterstützung für den Bau zu interpretieren.

Jetzt hat er den doppelten Schaden: einerseits, weil er eine unpopuläre Position eingenommen hat; andererseits, weil er nicht das Rückgrat hat, dafür einzustehen.

Als Präsident ist es Obamas Aufgabe, die Verfassung zu verteidigen, die in ihrem ersten Zusatz die Religionsfreiheit garantiert. Die USA wurden von Menschen aufgebaut, die für ihren Glauben in Ursprungsländern unterdrückt und verfolgt worden waren. Nicht ohne Grund gibt es in den USA eine striktere Trennung von Kirche und Staat (freilich nicht unbedingt von Religion und Staat) als in jedem europäischen Land. Überschreitet Obama diese Grenze, verbietet man eine Moschee in Manhattan, wo es Tempel und Kirchen gibt, wäre das ein verheerendes Signal: Damit würden die USA offiziell den Islam mit Terrorismus gleichsetzen.


Damit sind wir bei der zweiten, gesellschaftlich weitaus relevanteren Frage rund um den Protest gegen die Moschee: Offenbar sehen auch die Menschen im früher so toleranten Amerika den Islam immer weniger als eine Religion denn vielmehr als eine politische Ideologie. Und das sollte für Moslems alarmierender sein als eine unangenehme Diskussion.

Laut einer Imas-Umfrage halten 54 Prozent der Österreicher den Islam für eine „Bedrohung für den Westen“. Das deutliche Nein der Schweizer vergangenes Jahr in einer Volksabstimmung gegen Minarette fußte nicht auf dumpfen Vorurteilen, sondern auf der Verunsicherung der Menschen, die nicht wissen, wie sie diesen Glauben einordnen sollen.

Zwischenrufe wie jene des Papstes vor einigen Jahren, der auf ein Zitat verwies, wonach Mohammed der Welt nur Schlechtes gebracht habe, sind wenig hilfreich für ein ökumenisches Verständnis. Das ist genauso verwerflich wie das Agieren der FPÖ, die aus dem verständlichen Widerstand der Anrainer in Wien Floridsdorf gegen eine Moschee eine Kampagne macht, weil diese eine dramatische Zunahme des Verkehrs fürchten.

Was für ein bemerkenswertes Zeichen der Offenheit und Toleranz wäre es da, würde das offizielle Amerika einen Bau einer Moschee gerade dort unterstützen, wo Auswüchse dieses Glaubens zum verheerendsten Terroranschlag in der Geschichte des Landes geführt hatten.

Herausforderung für ObamaSeite 5

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.08.2010)

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