Helmut Elsner auf der Flucht ins Bügelzimmer

Beim Ex-Bawag-Boss besteht Fluchtgefahr, er bekommt keine Fußfessel. Das ist logisch – und macht doch ratlos.

Eine gewisse Ratlosigkeit ist selbst alten Gerichtsroutiniers ins Gesicht geschrieben: Helmut Elsner bleibt weiter in Untersuchungshaft und hat damit die düstere Aussicht, auch das vierte Jahr vollständig abzusitzen. Im Februar 2011 würde sein fünftes Jahr hinter Gittern beginnen. Warum bekam der im 76.Lebensjahr stehende Ex-Bawag-Generaldirektor nicht die ihm von praktisch allen Beobachtern zugedachte Fußfessel? Blendet man die Entwicklung der U-Haft aus, muss diese Frage umgekehrt gestellt werden: Warum hätte der Haftrichter Elsner nach Hause schicken sollen?

Gewiss, man durfte davon ausgehen, dass die seit 1. September auch für U-Häftlinge geltende Fußfessel-Regelung (an sich soll der elektronisch überwachte Hausarrest der gesellschaftlichen Wiedereingliederung von Strafgefangenen dienen) gestern, Dienstag, einen ebenso raren wie spektakulären Anwendungsfall finden würde. Alles sah so aus, als wäre Elsners Heimkehr in das umstrittene Wiener City-Penthouse nur noch Formsache. Logisch war das jedoch nicht. Da sowohl der Haftrichter als auch die nächsthöhere Instanz, das Oberlandesgericht Wien (OLG), absolut der Meinung sind, Elsner würde sofort fliehen, sobald er nur die Möglichkeit dazu bekäme, wäre es geradezu absurd gewesen, die Gefängnistore für ihn zu öffnen.

So gesehen ist die ablehnende Entscheidung des Haftrichters im Ergebnis durchaus konsequent. Die Begründung – soweit sie bisher von der Verteidigung transportiert wurde – lässt jedoch vermuten, dass dem Gericht die Fußfessel-Technik nicht so ganz klar zu sein scheint. Elsner sei herzkrank, brauche ärztliche Hilfe, habe das gesetzlich verbriefte Recht, zum Arzt zu gehen und damit den Hausarrest zu bestimmten Zeiten zu unterbrechen – und weil dem so sei, würde der Ex-Banker gute Möglichkeiten vorfinden zu fliehen. Also, um sich aus dem Staub zu machen, hätte Elsner nicht so tun müssen, als würde er zum Arzt gehen. Er hätte jederzeit aus der Wohnung spazieren können – auch ohne jeden Vorwand. Dann hätte die Fußfessel zwar Alarm ausgelöst, aber Elsner hätte allemal genug Zeit gehabt unterzutauchen.

Was also ist der wahre Grund für Elsners Endlos-U-Haft? Dazu hat seine Ehefrau Ruth ihre eigene Erklärung: „Das ist Psychoterror.“ Helmut Elsner selbst macht ein Paar dafür verantwortlich, das vom Boulevard in unbeabsichtigt entlarvender Weise als „Winning Team“ beschrieben wurde: Justizministerin Claudia Bandion-Ortner (vormals Elsners Richterin im Bawag-Verfahren) und Kabinettschef Georg Krakow (vormals Staatsanwalt ebendort). Doch der Hinweis auf feindliche politische Mächte, die den Ex-Gewerkschafts-Banker – Elsner erhielt wegen der verlustreichen Bawag-Karibik-Deals erstinstanzlich neuneinhalb Jahre Haft – unverhältnismäßig lange in Verwahrung halten möchten, greift mittlerweile zu kurz. War Bandion-Ortner rund zwei Jahre lang als Richterin für die U-Haft verantwortlich, so war es zuletzt ihr Ministerium, das die Fußfessel-Regel vorantrieb und dabei diese Art der Überwachung eben auch für U-Häftlinge haben wollte. Sie installiere eine „Lex Elsner“, lautete die Kritik. Schließlich verkündete die Ressortchefin sogar medial, dass Elsner wohl ein heißer Anwärter für die Fußfessel sei.

Mag sein, dass unabhängige Richter sich partout nichts dreinreden lassen wollen, wenn sie über Fußfessel-Anträge von Verdächtigen entscheiden. Das wäre auch gut so. Aber dass man in seiner Eigenständigkeit auch übertreiben kann, zeigt die jüngste Entscheidung des OLG. Weil Elsner als Vorstandsvorsitzender der Bawag gut verdient habe, müsse – trotz des Einfrierens seiner Gelder – „jedenfalls ausreichendes Vermögen“ da sein, mit dem der 75-Jährige „an einen sicheren Ort“ fliehen könne. Auch das fortgeschrittene Lebensalter, das Elsner (in Verbindung mit seiner Herzerkrankung) als Grund für eine Freilassung sieht, wird vom OLG (dieses nennt den Ex-Bawag-Chef einfach „den Elsner“) als Hinweis auf Fluchtgefahr gesehen. Gerade das Alter stelle einen „in besonders hohem Maße gegebenen Anreiz zur Flucht“ dar. Und selbst der erstinstanzliche Schuldspruch, so heißt es, habe das „Fluchtmotiv massiv gesteigert“. Außerdem sei Elsner „naheliegenderweise skrupellos und unverfroren“.

Freilich ist auch das OLG nicht allein an der U-Haft-Ewigkeit schuld. Da gibt es noch etwas: Im Bügelzimmer des Elsner-Penthouse hatte die Fußfessel bei Tests keinen Empfang. Elsner gelobte, dieses Zimmer nicht zu betreten. Das nutzte nichts. Womit die Geschichte der U-Haft nun vollends eine gewisse Ratlosigkeit zurücklässt.

Tag der Fußfessel-Entscheidung Seite 1


manfred.seeh@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.