Österreich hat nun seinen türkischen Sarrazin

Die hysterischen Reaktionen der Politik auf die teils krausen Thesen des türkischen Botschafters zeugen nicht von Problembewusstsein, sondern von üblicher Verdrängung.

Wir müssen Kadri Ecvet Tezcan, Ankaras Mann in Österreich, dankbar sein. Er hat in einem Land, dessen Regierung nur davon geprägt wird, ob nun die Angst vor Veränderung oder die vor Heinz-Christian Strache größer ist, Klartext gesprochen. Er hat in der Zuspitzung ähnlich wie in der politischen Ausrichtung naturgemäß völlig anders als Thilo Sarrazin das wahre Problem der Integrationspolitik offengelegt. Beide haben Reaktionen provoziert, deren hysterische Lautstärke und Inhaltsleere zeigen, dass beim Thema Integration die Probleme verdrängt werden.

Den beiden vorzuwerfen, sie würden mit ihren Aussagen der Integration von in Österreich beziehungsweise in Deutschland lebenden Türken schaden, ist amüsant und verräterisch zugleich: Diesem Gedanken folgend kann also das Zusammenleben mit und in einer anderen Gesellschaft nur funktionieren, wenn man leise bleibt, seine Meinung nicht formuliert und Probleme negiert.

Wenn vom Bundeskanzler und seinem Vizekanzler abwärts nur Empörung über das Interview Tezcans in der „Presse" herrscht, ist das in einem Punkt verständlich: Ein österreichischer Diplomat würde nie offen oder direkt seine Meinung sagen, das wird ihm aus sogenannter Staatsräson, wie professionelle Furchtsamkeit gern genannt wird, vom System untersagt. Dabei wäre etwa die deutliche und medial vor Ort verbreitete Empfehlung von Österreichs Vertreter in Ankara, dass Türken, die ihren Familien nach Österreich folgen, vor der Abreise ein wenig Deutsch lernen müssen, sehr hilfreich. Nebenbei bemerkt: Am meisten stört die Regierungsvertreter offenbar die Kritik an ihrer Politik, an der Innenministerin und der Kompetenzverteilung, nicht etwa Tezcans stereotype Angriffe gegen Österreicher. Von wegen sie würden sich nur im Urlaub für andere Kulturen interessieren. Und wenn sie sich nach einem solchen Interview in den Ferien wiederum für ganz neue Kulturen interessieren, dann wird das dem Botschafter des Tourismuslands Türkei aber auch nicht ganz recht sein.

In einem zentralen Punkt muss man Botschafter Tezcan nicht nur widersprechen, sondern seine Aussagen schlicht als gefährlich einstufen: Wenn er glaubt, von österreichischen Staatsbürgern mit türkischen Wurzeln als „seinen" Landsleuten reden zu müssen, ignoriert er die Souveränität Österreichs. Oder aber, die Türkei versteht sich als Schutzmacht aller ausgewanderter Türken, fast so ähnlich, wie sich Österreich in Rom immer vor die Südtiroler stellt(e). Im nächsten Schritt wird die Türkei dann wohl territoriale Ansprüche auf Wohngebiete „ihrer" Leute stellen, etwa Wien Favoriten und Fünfhaus.

Das klingt unfreiwillig komisch, soll aber einen zentralen Punkt der Aussagen Tezcans aufzeigen: Die Türkei sieht sich als euroasiatische Großmacht und will vom offiziellen Österreich auch nicht behandelt werden wie die Gastarbeiterheimat. Wenn der Mann bei Außenminister Michael Spindelegger angeblich keinen Termin erhalten hat, macht das schon ein wenig ratlos: Wozu gibt es in einem Acht-Millionen-Land eigentlich einen Außenminister? Um den Nahost-Konflikt zu lösen? Die EU neu aufzustellen? Oder vielleicht einfach nur die Botschafter anderer Staaten zu treffen und ihnen ein bisschen zuzuhören?

Nein, Herr Tezcan hat sich offenbar schon lange geärgert und darauf gebrannt, dies kundzutun. Dabei mischt er wie viele zornige Menschen Wahrheiten (Integrationspolitik sei kein Job für die Polizei), Halbwahrheiten (Türken würden in Wien nur in bestimmte Viertel geschickt) und Unwahrheiten (er habe noch nie von hoher Aggressivität junger Moslems in vielen Wiener Schulen gehört). Und er legt eine Wehleidigkeit an den Tag, die so gar nicht zum Selbstbewusstsein des Botschafters passt, der sich großzügig bis großmachtfantastisch zum Schutzherren von 250.000 in Österreich lebenden Türken erklärt: An allem, selbst an den schlechten Schulnoten der Kinder, seien nur die bösen Österreicher schuld, die die moslemischen Türken in ihrer Mitte nicht willkommen heißen.

Tezcan stellt eine sehr gute Frage, auf die Faymann, Pröll und wie sie alle heißen, keine Antwort haben: Warum haben wir ohne jeden Plan und ohne jedes Konzept 110.000 Türken eingebürgert? Ohne eine Antwort darauf brauchen wir gar nicht erst weiterzudiskutieren.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2010)

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