Das "Endspiel" um den Euro hat längst begonnen

In den nächsten Monaten wird es weniger darum gehen, was aus Griechenland und Irland wird. Die zentrale Frage wird vielmehr sein, ob und wie der Euro zu retten ist.

Die deutsche Kanzlerin hat die Lage messerscharf erkannt: „Es geht um alles. Denn scheitert der Euro, scheitert auch Europa“, schleuderte Angela Merkel ihren Gesinnungsfreunden am Parteitag der Union vergangenen Montag entgegen. Wenn die erste Führungskraft der größten Volkswirtschaft Europas mit einer so deutlichen Standortanalyse die Existenz des Euro in Zweifel zieht, wird auch den treuesten Freunden des Projekts Europa schlagartig klar, dass sich längst Größeres in Bewegung gesetzt hat.

Dem ist auch so. In den kommenden Monaten wird es nicht so sehr darum gehen, wie die beiden Pleitiers Griechenland und Irland ihr finanzielles Desaster zu lösen gedenken. Sondern darum, ob und wie die Zukunft der Einheitswährung zu sichern ist. Das ist beileibe keine pessimistische Übertreibung, mit der schwer verschuldete Staaten aufgeschreckt werden sollen, damit sie endlich ihre Haushalte in Ordnung bringen. Nein, es ist der Appell an die politischen Führungsgremien in den Mitgliedsländern, endlich zu begreifen, in welche Lage sie die Währungsunion – und damit das europäische Gesamtprojekt – gebracht haben.

Um ein großes Missverständnis auszuräumen: Der Euro leidet keineswegs an einer fehlenden gemeinsamen europäischen Wirtschafts- und Fiskalpolitik, wie gern behauptet wird. Wer meint, die 16 Euroländer ökonomisch gleichschalten zu müssen, hat die europäische Idee nicht verstanden. Wieso sollte Deutschland dasselbe Konjunkturprogramm aufsetzen wie Italien? Und warum sollten Länder wie Griechenland und die Slowakei dieselben Steuersätze einheben müssen? Die Schweiz ist ein perfektes Beispiel dafür, wie auch innerhalb der eigenen vier Wände Steuerwettbewerb in höchstem Maße förderlich sein kann. Vielfalt heißt das Motto, nicht Einfalt.

Das existenzielle Problem des Euro liegt auch nicht in der Wirtschaftskrise – sie legt nur die Schwächen der Währungsunion schonungslos offen. Namentlich die „Anything goes“-Mentalität ihrer Mitglieder sowie die Zusammensetzung der Eurozone. Problem Nummer eins lässt sich nur dann lösen, wenn sich die Euroländer auf eine verlässliche Kultur der Stabilität verständigen.

Ein neuer Pakt allein wird aber nicht mehr reichen. Vielmehr braucht es effiziente marktwirtschaftliche Sanktionsmechanismen: Anleihenzeichner müssen in Zukunft wissen, dass sie im Extremfall um ihre Ausleihungen umfallen, wenn sie den „falschen“ Ländern Geld überlassen. Das bedeutet: Auch Staaten müssen pleitegehen können. Ein Insolvenzrecht für EU-Staaten mit vollem Zugriff der Gläubiger auf öffentliche Vermögenswerte disziplinierte nicht nur ausgabenfreudige Regierungen, sondern auch deren Geldgeber. Das sollte geklärt werden, bevor Schwergewichte wie Spanien und Italien den Rest Europas zu Hilfe rufen.


Weit schwieriger zu lösen ist Problem Nummer zwei: die künftige Zusammensetzung der Eurogruppe. Die Länder sind in ihrer ökonomischen Verfassung derart heterogen, dass an eine gemeinsame Geldpolitik nicht zu denken ist. Die EZB müsste im boomenden Deutschland längst die Zinsen erhöhen, um die Inflationsgefahr einzudämmen. Würde die EZB aber das Geld verteuern, wären nicht nur Griechenland und Irland ruiniert.

Früher oder später wird die Eurogruppe also die unangenehme Frage zu klären haben, wie sie mit jenen Ländern umzugehen gedenkt, die in einer auf Geldwertstabilität ausgerichteten Währungsunion nichts verloren haben. Wird ihnen der Austritt nahegelegt, oder verabschieden sich die starken Länder in einen „Euro Nord“, um nicht mit den Schwachen unterzugehen?

Angela Merkel ist das bewusst. Und als eine der wenigen weiß sie auch, dass derzeit keineswegs die „Finanzmärkte verrückt spielen“. Die dahinterstehenden Individuen handeln vielmehr rational. Sie haben verstanden, dass es keine gute Idee ist, Staaten immer weiter Geld vorzustrecken, das diese dafür einsetzen, die Karrieren ihrer politischen Eliten abzusichern. Die alles entscheidende Frage ist, ob das neben Frau Merkel auch andere Politiker in den Euroländern begriffen haben.

E-Mails an: franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2010)

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