Warum Kim Jong-il der Welt sein Spiel aufzwingen kann

Das größte Glück des nordkoreanischen Herrschers ist, dass es keine einfache Lösung für das Problem gibt, das er und sein Regime seit Jahren darstellen.

Nicht nur die koreanische Halbinsel, ganz Ostasien blickte am Dienstag in den Abgrund. Mehr als 100 Granaten feuerte die nordkoreanische Artillerie auf die südkoreanische Fischerinsel Yeonpyeong ab. Dutzende Häuser gingen in Rauch auf, zwei südkoreanische Soldaten starben. Es haben schon weniger dramatische Zwischenfälle gereicht, um Kriege auszulösen.

Noch ist nicht geklärt, warum es zu dem Granatenbeschuss kam. Es steht Wort gegen Wort. Das kommunistische Regime in Pjöngjang behauptet, der Süden habe das Feuer eröffnet. Das streitet die Gegenseite vehement ab. Der südkoreanische Präsident Lee Myung-bak drohte mit einem enormen Gegenschlag, falls Nordkorea noch einmal angreife. Die internationale Gemeinschaft hatte alle Hände voll zu tun, die Auseinandersetzung einzudämmen.

Einiges spricht dafür, dass Nordkoreas „Geliebter Führer“, Kim Jong-il, wieder einmal sein bevorzugtes außenpolitisches Instrument einsetzt: die Provokation. Das Muster wiederholt sich seit Jahren: Immer wenn der Diktator Zugeständnisse will, also Geld, Reaktoren oder den Beginn neuer Verhandlungen, immer wenn er sich schlecht behandelt fühlt, inszeniert er eine Krise. Mal testet er eine Langstreckenraketen, mal eine Atombombe, mal lässt er ein Kriegsschiff versenken, mal Granaten abfeuern.

Mit dieser Methode hatte Kim meistens Erfolg, deshalb wendet er sie auch so gerne an. Seit mehr als 20 Jahren versuchen die USA und andere Mächte, dem nordkoreanischen Regime die Atombombe abzuverhandeln. Es gab alle möglichen Gespräche, Anreize und Abkommen. Doch immer wieder brach Nordkorea die Vereinbarungen, worauf nach Abkühl- und Sanktionsphasen stets neue Verhandlungen begannen.

Mittlerweile müsste klar sein, dass Kim Jong-il sein Atom- und Raketenprogramm nie aufgeben wird. Denn es ist das einzige Pfund, mit dem er wuchern kann. Wer säße mit ihm am Verhandlungstisch, wenn er seine Nachbarn nicht glaubhaft in Angst und Schrecken versetzen könnte? Nordkorea ist eines der hochgerüstetsten Länder der Welt. Deutlich mehr als die Hälfte des staatlichen Budgets steckt der Diktator ins Militär. Denn darin sieht er seine wichtigste Stütze. Und der Erhalt der Macht für sich und seine Familie ist sein oberstes Prinzip.

Dafür nimmt er bekanntermaßen auch Hungersnöte in Kauf. Wirtschaftsreformen nach dem Vorbild Chinas scheut er, denn sie könnten sein Regime destabilisieren, ebenso wie eine Entmilitarisierung und eine dauerhafte Aussöhnung mit Südkorea. Dieses Verhalten ist natürlich zutiefst unmoralisch, doch es funktioniert: 21Jahre nach dem Ende der Sowjetunion existiert die „Demokratische Volksrepublik Korea“ noch immer. Am Leben erhalten wird sie von ihrem wichtigsten Verbündeten: von China. Die Führung in Peking hat nach wie vor ein Interesse an einem Pufferstaat zwischen sich und dem amerikanischen Alliierten Südkorea. Und es fürchtet vor allem auch (ebenso wie übrigens Südkorea) den Flüchtlingsstrom nach einem unkontrollierten Zerfall des stalinistischen Regimes.


Das Glück Kim Jong-ils ist, dass es keine einfache Lösung für das Problem gibt, das er darstellt. Die militärische Option fällt flach: Nordkorea würde beim ersten Anzeichen einer Invasion Seoul, die nur wenige Kilometer entfernte Hauptstadt Südkoreas, in Schutt und Asche legen. Darüber hinaus könnten in solch einem Fall, wie schon während des Korea-Krieges (1950–1953), China und die USA direkt aneinandergeraten; und das will niemand. Hochriskant wäre es auch, den Diktator mit einer gezielten Kugel aus dem Weg zu räumen: Denn keiner kann wissen, ob die Verhältnisse nach ihm nicht noch unberechenbarer werden. Sanktionen? Ihre Wirkung war bisher begrenzt. Den größten Einfluss hätte China, das aber, wie gesagt, kein ausgeprägtes Interesse an einem Regimewechsel hat.

Bleibt also nur die Möglichkeit, Kims Spiel mitzuspielen, durch eine Eindämmungspolitik Schlimmeres zu vermeiden und weiter auf einen schleichenden Wandel durch Öffnung zu hoffen. Das ist unbefriedigend, aber leider ohne Alternative.

E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2010)

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