Gleichheit, Brüderlichkeit – und war da nicht noch was?

Die Regierung versucht gerade, auf Zehenspitzen ein Gesetz durchzubringen, das die Privatautonomie beträchtlich beschneidet. Hehre Motive, verheerendes Mittel.

Dass das Eindringen des Staates in unser Privatleben zunehmend ärgerlich ist, haben jetzt offenbar auch unsere Politiker erkannt. Anders ist kaum zu erklären, dass sie kürzlich ein Gesetz, das einen massiven Eingriff in die Privatautonomie der Österreicher bringt, in aller Stille im Ministerrat abgesegnet haben – sozusagen auf Zehenspitzen. Einige wenige Institutionen durften den Gesetzesvorschlag begutachten. Allerdings waren sie handverlesen, und man hat sich offenbar im Vorhinein mit ihnen darauf geeinigt, dass es zu keinerlei Aufsehen kommt.

Es handelt sich dabei um eine Novelle zum Gleichbehandlungsgesetz, die festlegt, dass künftig niemand, der Waren oder Dienstleistungen öffentlich anbietet, potenzielle Kunden aufgrund deren Geschlechts, Ethnie, Alters, Religion, Weltanschauung oder sexueller Orientierung diskriminieren darf. Künftig soll also etwa der Hotelier strafbar sein und Schadenersatz leisten müssen, der keine Russen als Gäste will oder keine Kleinkinder. Oder der Nachhilfelehrer, der nur Mädchen unterrichten will, weil ihm Buben zu schlimm sind. Oder der Werbegrafiker, der als bekennender Atheist für den nächsten Papstbesuch kein Logo entwerfen will. Oder der Baumeister, der an einer Moschee nicht mitbauen möchte. Oder der rumänische Ex-Lagerhäftling, der es ablehnt, für die KPÖ zu dolmetschen.

Menschen, die ihren Vorurteilen folgen, sind ja tatsächlich oft nicht sehr erfreuliche Zeitgenossen. Aber daraus ein immer engmaschigeres und immer tiefer ins Private eindringendes Regel- und Zwangssystem zu bauen, bedeutet dasselbe wie das, was der deutsche Politiker Karl-Theodor von und zu Guttenberg (nicht der Verteidigungsminister, sondern dessen Großvater) einmal über den Nationalismus gesagt hat: die Pervertierung einer guten Idee zu einer Ideologie.

Beunruhigend ist dabei nicht nur die Richtung, sondern auch das Tempo, mit dem das Ganze vor sich geht. Noch vor 25 Jahren war klar, dass zwar der Staat niemanden diskriminieren darf: Vor dem Gesetz – aber auch vor der Kommission für die Aufnahme neuer Beamten – sind alle Menschen gleich. Allerdings durfte sich der Privatmensch seine Vorurteile leisten, solange sie nicht zur Hetze ausarteten – vielleicht, weil man wusste, dass niemand ganz vorurteilsfrei ist. Wenn jemand nur Männer über 40 oder ausschließlich Sikhs in seiner Firma haben wollte, dann war das sein Problem.

Aber nach dem Tod des real existierenden Sozialismus wandte sich die Sehnsucht der Menschen nach einem kollektiven Heilsauftrag zunehmend dieser Idee zu: der Pflicht der Gesellschaft, alle Benachteiligungen aller Benachteiligten aufzuheben – eine historische Mission, der sich kein Bürger entziehen darf, und die daher auch Grenzen der Privatsphäre nicht zu achten hat.

Diese ideologische Dynamik ist freilich nicht einmal allen Proponenten klar. Und sie fällt auch nicht so sehr auf, weil sie sich in kleinen Schritten entfaltet: zuerst im staatlichen Bereich, dann in der Arbeitswelt, jetzt bei allen privaten Geschäften. Zuerst ist nur Geschlechterdiskriminierung verboten, dann kommen Ethnie und Religion hinzu, dann Alter, Weltanschauung, sexuelle Orientierung und Behinderung. Niemand kann sagen, ob das jetzt das Ende ist. Ein bisschen gleichbehandelter kann man immer noch irgendwen machen. Und dabei die Grenzen des Zumutbaren weiter ausdehnen. Der Europarat hat etwa bereits gefordert, jegliche sexistische Bemerkung (!) unter Strafe zu stellen, und niemand hat sich daran gestoßen.


Seit jeher befiehlt das Gesetz all jenen, die in der Nahversorgung wichtige Güter und Dienstleistungen anbieten, alle Kunden zu bedienen. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Und vielleicht ist der Richter auch noch dort gefordert, wo Menschen einzig aufgrund einer ungefährlichen persönlichen Eigenschaft eine Wohnung verweigert wird. Aber mit allem anderen sollte die Gesellschaft auch ohne Staatsgewalt und obrigkeitlichen Tugendterror zurechtkommen.

Das macht die Heimlichtuerei bei der anstehenden Gesetzesnovelle so unheimlich. Dabei gibt es nicht einmal eine Vorgabe aus Brüssel dafür, denn die wird von Deutschland hartnäckig blockiert. Noch ist auch in Österreich die Novelle nicht vom Nationalrat beschlossen. Es wäre ein Zeichen der Reife der Abgeordneten, wenn es dabei bliebe. Seite 3

E-Mails an: michael.prueller@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2010)

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