Der Teflon-Finanzminister, an dem alles picken bleibt

Karl-Heinz Grasser wird öfter erwischt als andere Politiker. Aber empören wir uns nicht an seiner Person über Dinge, die so außergewöhnlich auch wieder nicht sind?

Im Jahr 2004 gab es eine „Google-Bombe“ gegen den Finanzminister. Die Internet-Suchmaschine war so manipuliert worden, dass jeder, der nach „völliger Inkompetenz“ suchte, an erster Stelle Karl-Heinz Grassers Homepage fand. Eine lustige Aktion – aber auf dem falschen Begriff aufgehängt. Inkompetent war Grasser nicht. Gut, seine Budgets haben sich im Nachhinein als ein bisschen getrickster herausgestellt, als sie zunächst ausgesehen haben. Aber mit hoher sozialer Intelligenz und einem wachen Geist ausgestattet, hat der Charmeur sein Ressort für sich eingenommen, und das hat ihn dann mit hoch professioneller Arbeit unterstützt. Die Gebarung der Staatsfinanzen zeigte sich solcherart recht solide. Einem Pluspunkt seiner Politik – der standortfreundlichen Steuerreform – steht das große Minus entgegen, dass auch er an der Defizitpolitik strukturell nichts geändert hat: Das „Nulldefizit“ blieb ein leeres Wort. Aber den Makel teilt er mit Vorgängern und Nachfolgern.

Inkompetenz war und ist also nicht unser Problem mit Karl-Heinz Grasser. Das eigentliche Problem war schon bei der sogenannten Homepage-Affäre deutlich zu sehen: Damals ging es um rund 250.000 Euro, die von der Industriellenvereinigung an, sagen wir einmal, das Umfeld des Finanzministers gespendet wurden. Als das aufkam, wurde die eigentliche Frage nach der demokratiehygienischen Zulässigkeit solcher Zuwendungen nur am Rande gestreift. Das hätte ja auch ein ganzes System infrage gestellt, denn dass die Interessenvertretungen ihren politischen Kontakten mit Ressourcen aller Art aushelfen, ist die Normalität unserer Republik. Stattdessen ging es schließlich nur noch um das etwas lächerliche Ansinnen, Grasser solle dafür Steuern zahlen – lächerlich nicht grundsätzlich, aber vor dem Hintergrund, dass noch kein Politiker jemals Einkommen- oder Schenkungssteuer für Unterstützungen dieser Art gezahlt hat. Natürlich ist nichts aus der Steuerhinterziehungssache geworden, sosehr auch Wirbel darum gemacht wurde. Und natürlich ist das Ärgernis dahinter, jenes der intransparenten Parteien- und Politikerfinanzierung, bis heute nicht ernsthaft angegangen worden.

Jetzt hat Grasser zugegeben, Wertpapiergewinne auf einem kanadischen Depot nicht versteuert zu haben. Und auch hier kenne ich wenige, bei denen ich die Hand ins Feuer legen würde, dass sie da viel ehrlicher gewesen wären. Das mag daran liegen, dass man als Journalist nicht den besten Umgang hat – aber es ist jedenfalls doch wieder nicht der dicke Fisch, nach dem die Buwog-Untersuchungsrichter stochern. Wieder empört Grasser mit etwas, was viele für selbstverständlich halten, solange man nicht darüber redet. So, wie sich zum Beispiel den Porsche von jemandem auszuborgen, dem man zwei Aufsichtsratsmandate verschafft hat. Oder als Finanzminister sich heimlich an einer Bank zu beteiligen. Oder vieles andere, das zwischen Monte Carlo und den Seychellen passieren kann, wenn einem der väterliche Freund fehlt, der rechtzeitig sagt: Karl-Heinz, pass auf!


So fällt es Grasser leicht, sich als bedauernswerte Beute einer übereifrigen Jagdgesellschaft darzustellen. Dabei haben die Verdachtsmomente im Buwog-Fall immerhin deutlich mehr als bloß Kavaliersdelikte zum Gegenstand; und hier hat die Justiz bisher auch nicht wirklich Übereifer gezeigt.

Aber die Jagdgesellschaft ist tatsächlich Teil des Problems – nicht wegen ihres angeblichen Übereifers, sondern im Gegenteil ihres nachlassenden Eifers, wenn es über die Person Grasser hinausgeht. Der Kärntner Sonnyboy ist sicherlich unbekümmerter, vielleicht auch ungeschickter und als Parteiloser ungeschützter, jedenfalls glückloser unterwegs als andere – und wird daher auch häufiger erwischt. Aber es ist schon auch Schuld der Jagdgesellschaft (und ein später ironischer Triumph der Marken-Stilisierung des KHG), dass wir die Kultur von Freunderlwirtschaft, Privatbewirtschaftung politischer Macht, undurchsichtigen Finanzen und mangelhaftem Unrechtsbewusstsein, die uns rings um alle Grassereien entgegentritt, nicht als Systemproblem wahrnehmen und angehen, sondern bloß als Personality-Show konsumieren, uns daran delektieren, als wäre es bloß eine Art Dschungelcamp mit Ein-Mann-Promi-Besetzung.

E-Mails an: michael.prueller@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2011)

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