Merkels Pakt und die verquere Rückkehr der Politik

Eine notwendige und sinnvolle Koordinierung der Euro-Wirtschaft entartet in Interpretationsspielräume, Machtspiele und Auflösung demokratischer Grundregeln.

Am Anfang von Konflikten steht meist ein Missverständnis. Dessen Ursache kann in der Verwendung von Begriffen liegen, von denen die Akteure ganz unterschiedliche Vorstellungen haben. Manche verfallen auch der Illusion, dass durch das Festschreiben eines Begriffs eine Macht des Faktischen entsteht, die alles in ihre gewünschte Richtung treibt. Dieses Problem manifestiert sich gerade eben beim Begriff „Wirtschaftsregierung“. Sie wird derzeit von Berlin und Paris als Allheilmittel zur Lösung der Euro-Schuldenkrise gesehen. Beide werden diesen Begriff nun forcieren, abwandeln – wohl wissend, dass sie eigentlich ganz etwas anderes damit meinen.

Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel tritt nach langem Zögern für eine eng koordinierte Wirtschaftspolitik in der Eurozone ein. Sie zielt auf die Wettbewerbsfähigkeit ab und will nichts anderes, als alle Länder auf den deutschen Erfolgskurs drängen. Sie denkt bei Wettbewerbsfähigkeit an die globale Konkurrenz, mit der Europa Schritt halten muss. Es ist jener Weg, den das Exportland Deutschland schon mehr als ein Jahrzehnt lang verfolgt.

Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy wollte die enge Koordination der Wirtschaftspolitik schon immer. Er wollte eine europäische Wirtschaftsregierung, die vor allem dazu beiträgt, dass die Euroländer nicht länger miteinander konkurrieren. Sarkozy geht von einer ganz anderen Prämisse als Merkel aus. Ihm geht es nicht so sehr um die Performance auf dem Weltmarkt als vielmehr um einen abgeminderten Wettbewerb in der Eurozone selbst. Die beiden Pole, von denen Merkel und Sarkozy ausgehen, sind die internationale Konkurrenzfähigkeit und der nationale Protektionismus, sie könnten kaum weiter auseinander liegen.

Allerdings gibt es auch eine wesentliche Gemeinsamkeit: Beide wollen die Rückkehr der Politik in ein Feld, das ihrem Zugriff völlig entglitten ist. Europa hat eine gemeinsame Währung entwickelt, ohne eine politische Aufsicht über die Teilnehmer zu schaffen. Der von Jacques Delors kritisierte „Systemfehler“ soll nun bereinigt werden. Ein Sumpf von staatlicher Korruption wie in Griechenland soll ebenso verhindert werden wie das Heißlaufen einer auf kurzfristige Gewinne ausgelegten nationalen Wirtschaft wie in Irland.

Mit der Krise ist deutlich geworden, welch eine Illusion es war, die gemeinsame Währung könnte allein durch ihre Existenz unterschiedliche ökonomische Kulturen auf eine Linie bringen. Ohne gemeinsame Kontrolle war der Euro bisher nur ein Nährboden, auf dem das Unkraut nationaler Sonderinteressen blühen konnte. Eine Wirtschaftsregierung, so sie dieses Unkraut beseitigt, so sie die gemeinsame wirtschaftliche Basis für stabile Staatshaushalte, einen nachhaltigen Wohlstand und faire Bedingungen für alle Euro-Teilnehmer stellt, müsste deshalb allen willkommen sein.

Doch allen, die sich das wünschen, muss auch klar sein, dass diese gemeinsame Aufsicht und Koordinierung ihre Nebenwirkungen haben wird. Sie wird den größten Einschnitt in nationale Wirtschaftskompetenzen seit Einführung des europäischen Binnenmarkts bringen. Und sie wird nur funktionieren, wenn sie in ein System demokratieimmanenter Checks and Balances eingebunden ist. Das, was Merkel und Sarkozy aber vorschwebt, ist eine Wirtschaftsregierung durch die Staats- und Regierungschefs der EU. Es sind die Delinquenten der Krise, denen Berlin und Paris die Aufgabe übertragen wollen, sich selbst zu richten. Eine Absurdität.

Aus Angst um ihre Macht und aus Angst vor einer ehrlichen Debatte über die Abgabe nationaler Souveränitätsrechte bauen Merkel und Sarkozy an einem Luftschloss vermeintlicher Stabilität und Kontrolle. Nicht die unabhängige EU-Kommission, sondern sich als Staats- und Regierungschefs selbst mit der Koordination zu betrauen ist eine unsaubere Lösung. Sie wird letztlich dazu führen, dass die ungeklärte Begrifflichkeit (Wettbewerbsfähigkeit oder Protektionismus) zum wirtschaftspolitischen Basar fauler Kompromisse entartet. Der Euro wird dadurch um keinen Deut glaubwürdiger, der gemeinsame Wirtschaftsraum um keinen Deut konkurrenzfähiger.

E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2011)

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