Der Terror der Tugendbolde

Die Entrüstung über die Tötung des Massenmörders Osama bin Laden entspringt überwiegend nicht der Sorge um die Rechtspflege. Sie ist viel eher Ausdruck antiamerikanischer Heuchelei.

Am tugendhaftesten wird der gute Europäer, wenn er sich über die barbarischen Amerikaner empören kann. Um sich selbst moralisch zu erhöhen, ist antiamerikanischen Gutmenschen jeder unangebrachte Anlass willkommen. Da wird dann plötzlich auch Osama bin Laden zum verirrten Schäfchen, das besonderen Schutz verdient. Wer Freude über den Tod des Massenmörders ausdrückt, wird einer geschmacklosen Pietätlosigkeit geziehen, als hätte er auf dem Grab Mahatma Gandhis ein fröhliches Tänzchen hingelegt. Die deutsche Kanzlerin Merkel wurde nun sogar angezeigt, weil sie ihre Genugtuung über bin Ladens Ende bekundete. Wie absurd!

Dem Tod des Terroristen wollten die besorgten Hüter des internationalen Rechts und ihres persönlichen Wohlbefindens von Anfang an partout nichts Positives abgewinnen. Sie suchten begierig nach dem Verwerflichen an der amerikanischen Kommandoaktion. In die Hände spielte ihnen die fahrlässig ungeschickte Kommunikation der US-Regierung, die tröpfchenweise binnen weniger Tage verschiedene Versionen des Einsatzhergangs servierte, statt gleich alle Fakten auf den Tisch zu legen. Noch immer bestehen Ungereimtheiten. Doch nach offiziellem Letztstand lässt sich der Vorwurf, die Navy Seals hätten Osama bin Laden „exekutiert“, nicht aufrechterhalten. Denn der „unbewaffnete“ Chef der al-Qaida griff angeblich zu seinem Gewehr, als er erschossen wurde. Und davor schon soll einer seiner Begleiter das Feuer eröffnet haben. Warum in aller Welt hätten die US-Soldaten ihr eigenes Leben gefährden sollen, um einen Schwerverbrecher lebend zu fassen? Wäre denn ihr Leben weniger wert gewesen?

Und selbst wenn sie den Auftrag erhalten hätten, bin Laden zu töten, wäre das gerechtfertigt gewesen. Nicht nur die Amerikaner haben die Terroranschläge vom 11. September 2001, denen fast 3000 Zivilisten zum Opfer fielen, als Kriegsakt aufgefasst: Immerhin rief die Nato damals den Bündnisfall aus. In solch einer Situation muss es gestattet sein, den Anführer einer feindlichen Macht, der al-Qaida, auszuschalten, um weitere Anschläge zu durchkreuzen.

Natürlich wäre es eleganter und auch aufschlussreicher gewesen, die Verbrechen bin Ladens vor einem Gericht aufzuarbeiten. US-Präsident Obama hätte trotz des schiefen Lichts, das dann auf Guantánamo und die frühere US-Kooperation mit bin Laden gefallen wäre, vermutlich letztlich ein Interesse daran gehabt: Er hätte seinen Triumph im Kampf gegen den Terror in die Länge ziehen und auch vor der nächsten Wahl noch einmal abrufen können. Doch leider ließ sich bin Laden nicht unversehrt in den Tarnkappenhubschrauber beamen, der über seiner Villa in Abbottabad kreiste.

Nur die wenigsten, die sich nun so ereifern über die Tötung bin Ladens, haben je ein Wort über Raketenangriffe verloren, bei denen noch kein Terrorverdächtiger die Chance hatte, sich zu ergeben. Ihre Entrüstung entspringt überwiegend nicht der Sorge ums internationale Recht. Sie ist eher Ausdruck antiamerikanischer Heuchelei.

christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2011)

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