Die eiligen Propheten des Euro-Untergangs

Es gibt Wirtschaftswissenschaftler, die tragen durch populäre Endzeitstimmung zur Erfüllung ihrer Prophezeiungen bei. Und es gibt die Kalmierer, die ebenso schaden.

Die vereinfachte Übertreibung ist ein Geschäft des Boulevardjournalismus – will man meinen. Sie ist aber längst auch ein Instrument, das Politiker und selbst Wissenschaftler dazu dient, sich selbst ins Rampenlicht der Öffentlichkeit zu stellen. Je absurder, je negativer, je atemberaubender, je schockierender, desto größer ist die Chance auf Aufmerksamkeit.

Da dient beispielsweise die schreckliche Reaktorkatastrophe in Japan dazu, auch die weit entfernt lebende österreichische Bevölkerung zu verunsichern. Eine durch einen Tsunami ausgelöste AKW-Katastrophe sei bei uns durchaus möglich, behauptete der Risikoforscher Wolfgang Kromp. Er nannte als Beispiel für diese in einem Binnenland eher abwegige Gefahr das Bersten von AWK-nahen Staudämmen. Die Aufmerksamkeit war ihm sicher.

Da dient aber auch seit Monaten die europäische Schuldenkrise zur Profilierung einiger Wirtschaftswissenschaftler, die das eigentlich gar nicht nötig hätten. Allen voran der Chef des Münchner IFO-Instituts, Hans-Werner Sinn. Er heizte Spekulationen um einen Euro-Ausstieg Griechenlands so lange an, bis viele wirklich daran glaubten. An diesem Wochenende warnte er in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ gar vor einem Bürgerkrieg im Land, sollte Athen nicht die Währungsunion verlassen.

Obwohl Sinn seine Anhängerschaft bisher mit komplexen, logischen Analysen beliefert hat, greift er– weil es eben populär ist – nun immer öfter zu Metaphern und zu simplifizierten Argumentationen. So behauptete er, dass ein Euro-Ausstieg auch für Griechenland selbst besser wäre, denn dadurch könnte das Land ja wieder wettbewerbsfähiger werden. Was heißen soll: Es kann seine Währung abwerten und billig exportieren. Die Antwort auf die Frage, was Griechenland mangels relevanter Industriebetriebe außer Oliven und Feta überhaupt ausführen könnte, bleibt Sinn freilich schuldig.

Seit der Wirtschaftswissenschaftler Nouriel Roubini die internationale Finanzkrise vorausgesagt hat und er dafür hofiert wird, ist ein Wettbewerb düsterer Prognosen ausgebrochen. „Wir sehen unser Geld nie wieder“, heißt es da zu den Euro-Rettungspaketen. „Das Schlimmste steht uns noch bevor.“

Es wäre Unfug, Absicht dahinter zu sehen. Aber die düsteren Prognosen drohen zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung zu werden. Denn natürlich beeinflussen Äußerungen von Wirtschaftsexperten die Risikoaufschläge der Märkte und die panischen Reaktionen der Politik. Sie verzerren die sowieso schwierige Lage und erschweren es, mit klarem Kopf rasch zu Lösungsansätzen zu kommen. Gerade die Schuldenkrise, die angesichts der einbezogenen Finanzmärkte, Geldinstitute, Zentralbanken, IWF und EU so komplex und volatil ist, verlangt nach verantwortungsvoller Rhetorik der Experten.


Dies gilt freilich für die Alarmierer genauso wie für die Kalmierer. So kann sich auch der zum Nationalbankgouverneur aufgestiegene Wirtschaftswissenschaftler Ewald Nowotny nicht der Verantwortung entziehen, wenn er mit unglaubwürdigen Beruhigungsversuchen und falschen Prophezeiungen zur Verunsicherung beiträgt. Etwa, als er Anfang des Jahres angekündigt hat, dass die Europäische Zentralbank im ersten Halbjahr trotz steigender Inflation sicher keine Zinserhöhung durchführen werde. Das war schlicht gegen jede ökonomische Logik. Nowotny, der die spätere Zinserhöhung als „Zeichen der Normalität“ darstellte, hatte bereits das Griechenland-Paket kurz vor dessen Beschluss in Abrede gestellt.

Durchsichtige Beruhigungspillen sind für eine so stark verletzte Währungsunion genauso Gift wie die verbreitete Endzeitstimmung. Sie machen es unmöglich, über die wahren Ausmaße des Problems und die notwendigen harten Gegenmaßnahmen zu sprechen. Die Bevölkerung will ebenso wie die Wirtschaft schlicht die Wahrheit erfahren.

Viel wurde über die „Spekulation“ als Antrieb der Krise gesprochen. Es sind aber nicht bloß die Spekulationen auf den Finanzmärkten, es sind auch die simplifizierten Spekulationen in der öffentlichen Debatte, die zur Verschärfung des Problems beitragen. Seite 1

E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2011)

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