Griechenland: Das gefährliche Spiel mit der Zeit

Die EU-Länder wollen die Pleite hinauszögern, um eine Kettenreaktion zu verhindern. Eine finanztechnische Strategie, die aber an den Menschen scheitern könnte.

Der Grat wird eng und immer enger. Da ist kein sicherer Tritt mehr möglich, sondern nur noch Taumeln vor dem Abgrund. Die aktuellen Rettungsversuche für den griechischen Staatshaushalt haben ein riskantes Ausmaß erreicht. Immer neues Geld wird notwendig, um den Bankrott hinauszuzögern. Gleichzeitig erhöht sich der politische Druck. Immer mehr EU-Länder wehren sich gegen die zusätzliche Hilfe, verlangen immer neue Gegenleistungen. Es sind Forderungen, die Athen kaum noch erfüllen kann.

Die Strategie wird immer deutlicher: Selbst wenn eine Staatspleite Griechenlands kaum noch aufzuhalten ist, so soll sie doch möglichst spät erfolgen – vielleicht 2013 oder 2014. In der Zwischenzeit sollen jene Länder, die zwar angeschlagen sind, aber als sanierbar gelten, ins Trockene gebracht werden. Irland, Spanien und Portugal sind, glaubt man den Experten von IWF und EU, dabei auf gutem Weg. Sie haben bisher ihre Auflagen trotz innenpolitischer Probleme erfüllt. Entwickelt sich das Wirtschaftswachstum auch noch positiv, könnte Europa wieder durchatmen.

Würde Griechenland hingegen fallen gelassen, würde dies sofort den Druck auf andere Länder unter dem Euro-Rettungsschirm erhöhen. Es ist ein fast schon panischer Blick auf die Märkte, der diese Sanierungspolitik dominiert. Die Ratingagentur Moody's machte erst diese Woche klar, dass eine Umschuldung Griechenlands unmittelbare Auswirkungen auf das Kreditrating „wirtschaftlich schwächerer Staaten“ haben werde. Eine durchaus realistische Einschätzung: Würde Griechenland zahlungsunfähig, ist mit einer Kettenreaktion zu rechnen, die auch die aufgezogenen Schutzschirme zu zerreißen droht. Die Europäische Zentralbank würde auf ihren dann wohl unverkäuflichen Staatsanleihen sitzen bleiben. Erhält Griechenland wie geplant weitere Milliarden aus dem EU-Rettungsfonds EFSF, könnte dieser Fonds seine bisherige Kreditwürdigkeit verlieren und hätte weniger Geld für künftige Hilfsaktionen zur Verfügung.

Als ein Ausweg wird seit Wochen über eine Laufzeitverlängerung für griechische Kredite nachgedacht. Die Strategie der Zeitverzögerung ist augenscheinlich. Das Problem daran ist bloß, dass sie von rein finanztechnischen Prämissen ausgeht. Sie kalkuliert ein Glaubwürdigkeitsproblem für den gesamten Euro ein. Ein Problem, dass sich so lange in Grenzen halten lässt, wie die Zinsen und die Inflation in der Eurozone niedrig bleiben. Aber allen ist bewusst, dass die Bombe längst tickt.

Noch wird gehofft, dass Griechenland irgendwie zu retten ist. Die Wahrscheinlichkeit sinkt freilich mit jedem zusätzlichen Geld für das marode Land. Denn Athen kann nicht nur innenpolitisch, sondern auch ganz praktisch die mit jeder Aufstockung verbundenen zusätzlichen Auflagen kaum noch erfüllen. Da drängen beispielsweise derzeit Länder wie die Niederlande zu noch mehr Privatisierungen. Aber der Preis vieler griechischer Staatsbetriebe sinkt angesichts des Imageproblems und des maroden ökonomischen Umfelds stetig. Die Arbeitslosigkeit ist gestiegen und mit ihr sind die Steuereinnahmen, die zur Sanierung notwendig sind, eingebrochen.


Der Grat dieser Risikowanderung wird aber nicht nur für die Griechen selbst, sondern auch für deren europäische Partner enger. Denn die durchaus verständliche Verzögerungsstrategie gerät an die Grenzen ihrer politischen Machbarkeit. Ob es die „Wahren Finnen“ in Finnland, die Rechtspopulisten unter Geert Wilders in den Niederlanden oder die FPÖ in Österreich ist, sie alle punkten mit der Forderung eines Stopps der Griechenland-Hilfe. Sie verringern von Monat zu Monat den politischen Spielraum der Euroregierungen.

Vielfach wurde den Krisenmanagern des Euro vorgeworfen, sie hätten keine Strategie. Immerhin, jetzt haben sie eine. Das Hauptproblem daran ist aber, dass diese Verzögerungsstrategie zwar auf die Märkte zugeschnitten ist, nicht aber auf die Menschen, Steuerzahler, Wähler, die letztlich das Risiko tragen müssen. Diese Strategie mag ihre Logik haben, sie ist aber für den gesunden Menschenverstand so nachvollziehbar wie ein Gezeitenkraftwerk am Neusiedler See, das auf den Klimawandel wartet.

E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2011)

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